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Lacaton und Vassal: Biografie, Bauwerke und Auszeichnungen

Sie sind das Gegenbeispiel der Stararchitekt:innen, die sich mit ihren Gebäude-Skulpturen im Stadtbild verewigen: Das französische Architektur-Duo Lacaton und Vassal zielt nicht auf spektakuläre Architektur ab, sondern legt den Fokus auf die Sanierung bereits bestehender Gebäude – und setzt damit ihre Prioritäten anders. Ein Kurzporträt über die Pritzker-Preisträger:innen von 2021.
Text Jeanette Kunsmann
Datum20.06.2023

Mit ihrer unkonventionellen Herangehensweise und ihrem Streben nach Nachhaltigkeit haben Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal die Architekturwelt im Sturm erobert. Ihre Bauwerke und Sanierungsprojekte zeichnen sich nicht nur durch Funktionalität und ansprechende Ästhetik aus, sondern stellen auch die soziale Verantwortung und die menschliche Erfahrung in den Vordergrund. 2021 wurden Lacaton und Vassal für ihre dafür mit den Pritzker-Architekturpreis ausgezeichnet. 

Kurzbiografie von Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal

Anne Lacaton (geboren 1955 in Saint-Pardoux, Frankreich und Jean-Philippe Vassal (geboren 1954 in Casablanca, Marokko) lernten sich in den späten 1970er Jahren während ihres Architekturstudiums an der École Nationale Supérieure d'Architecture et de Paysage de Bordeaux kennen. Lacaton studierte anschließend Stadtplanung an der Universität Montaigne in Bordeaux (1984), während Vassal nach Niger in Westafrika ging, um dort als Stadtplaner zu arbeiten. 

Lacaton besuchte Vassal des Öfteren vor Ort. Die Schönheit und Bescheidenheit der Wüstenlandschaften und die knappen Ressourcen des Landes waren unter anderem für die Entstehung ihrer architektonische Doktrin verantwortlich, nach der das Architektur-Duo auch heute noch Konzepte entwirft. 

1987 gründeten sie Lacaton & Vassal in Paris, seitdem bewiesen sie durch ihre Entwürfe für neue Gebäude und transformative Projekte immer wieder den Mut, Altes stehen zu lassen. 

Ihr allererster gemeinsamer Auftrag war 1996 die Umgestaltung des Place Leon Aucoc in Bordeaux. Bei ihrem Besuch vor Ort waren Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal von dem mit Bäumen umsäumten, dreiecksförmigen Platz so beeindruckt, dass sie kurzerhand entschieden, diesen nicht zu verändern, sondern das Projektbudget für eine Instandsetzung, die Säuberung der Bodenoberfläche sowie die zukünftige Pflege einzusetzen. Der Platz war für die Architekten über die Jahre entsprechend der Bedürfnisse seiner Nutzer so gewachsen, dass sie ihn nie hätten besser gestalten können. Dieses erste Gemeinschaftsprojekt sollte zum Wegweiser für zukünftige Konzepte und Entwürfe werden.

Architekturstil von Lacaton und Vassal

Lacaton und Vassal sind bekannt für ihre innovativen und kontextbezogenen Architekturentwürfe, bei denen sie vorhandene Strukturen respektieren und diese neu beleben. Statt Abriss und Neubau bevorzugen sie es, vorhandene Gebäude zu transformieren und zu erweitern, um so Ressourcen zu schonen und eine nachhaltige Architektur zu schaffen. 

Ihre Rolle als Architekten hinterfragen sie stets; in jeder ihrer Arbeiten begegnen sie dem Bestand mit maximalem Respekt. "90 Prozent von einem Projekt sind bereits da, bevor man überhaupt anfängt zu bauen", meint Jean-Philippe Vassal. "Als Architekt setzt man sich mit dem Begriff des Bauens auseinander. Das Bauen kann man auf eine sehr materielle und systematische Art sehen, weil man mit Ziegeln, mit Beton, mit Stahl und Fenstern baut."

"In unserer Auffassung von Architektur bedeutet Bauen vor allem: nachdenken."
Jean-Philippe Vassal

Bei ihren Um- und Neubauten beginnen Lacaton und Vassal bei jedem Projekte damit, den Bestand zu untersuchen und zu analysieren, was gut funktioniert und was fehlt. Mal ist das Vorhandene ein jahrhundertealter Baumbestand eines Baugrundstücks, so wie die Kiefern beim Haus am Cap Ferret (1998), mal sind es die Bewohner, wie beim Umbau des Tour Bois le Prêtre, mal aber auch nur eine einfache Fläche in der Stadt, wie in Bordeaux. 

Durch den Einbezug von Grünflächen und Terrassen in ihre Projekte schaffen Lacaton und Vassal außerdem eine harmonische Verbindung zwischen Architektur und Natur.

Lacaton und Vassal beeinflussen die Architekturwelt mit ihrer Herangehensweise und dem Streben nach Nachhaltigkeit und sozialer Verantwortung. Dennoch zeugt ihre Architektur von Eleganz, Funktionalität und dem Wunsch, das Beste aus vorhandenen Ressourcen zu machen. Mit ihren Projekten beweisen sie, dass Architektur nicht nur ein Mittel zur Erschaffung neuer Gebäude sein muss. Sie ist auch Mittel, um die Lebensqualität der Menschen zu verbessern und eine nachhaltigere Zukunft zu gestalten. 

Die zweite Entwicklungsphase für das Palais de Tokyo fand ein Jahrzehnt nach der ersten Restaurierung im Jahr 2002 statt. Lacaton und Vassal ließen sich von der Idee inspirieren, das Museum zu einem Ort zu machen, den sich Bersucher:innen zu eigen machen können.

Palais de Tokyo von Lacaton und Vassal 

Ein herausragendes Beispiel für die Vision von Lacaton und Vassal ist das "Palais de Tokyo" in Paris, Europas größtes Ausstellungshaus für zeitgenössische Kunst. Ende der 1990er Jahre entschieden sich Lacaton und Vassal dagegen, das heruntergekommene Gebäude abzureißen und ihm stattdessen eine atemberaubende, moderne Glasfassade hinzuzufügen und das Bauwerk zu revitalisieren sowie zu erweitern. 

In einer ersten Phase wurde der Palais der Tokyo 2002 erstmals saniert, 2012 folgte Phase II. Das Ergebnis ist ein einladendes und lebendiges Zentrum für zeitgenössische Kunst, das zum Verweilen und Entdecken einlädt.

Architektur und Projekte von Lacaton und Vassal 

Weitere bemerkenswerte Bauwerke und Projekte von Lacaton und Vassal in Frankreich in der Übersicht: 

  • 1993: Latapie House in Floirac, Frankreich
  • 1998: Cap Ferret House am Cap Ferret, Frankreich
  • 1999: Bordeaux House in Floirac, Frankreich
  • 2002: Palais de Tokyo (Phase I) in Paris, Frankreich
  • 2009: École Nationale Supérieure d’Architecture de Nantes, Frankreich
  • 2011: 53 Units, Low-Rise Apartments, Social Housing in Saint-Nazaire, Frankreich
  • 2011: Tour Bois le Prêtre in Paris, Frankreich
  • 2012: Palais de Tokyo (Phase II) in Paris , Frankreich
  • 2012: Multipurpose Theater in Lille, Frankreich
  • 2013: Ourcq-Juarès Student and Social Housing in Paris, Frankreich
  • 2013: FRAC Nord-Pas de Calais in Dunkerque, Frankreich

Die oben gezeigte Auswahl gibt Einblick in die Vielfalt und Innovationskraft von Lacaton und Vassal. Ihre Projekte sind nicht nur architektonisch beeindruckend, sondern auch sozial und ökologisch wegweisend.

Renommierter Pritzker-Preis für Lacaton und Vassal

Die außergewöhnliche Arbeit des französischen Architektur-Duos hat weltweit Anerkennung gefunden. Im Jahr 2021 nahmen Lacaton und Vassal den renommierten Pritzker-Preis, die höchste Auszeichnung in der Architektur, entgegen. Der Architekturpreis würdigt ihr Engagement für Nachhaltigkeit, soziale Verantwortung und ihre Fähigkeit, die menschliche Erfahrung durch Architektur zu verbessern.

Zudem wurden sie mit dem Global Award for Sustainable Architecture und dem RIBA Gold Medal Award ausgezeichnet.

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