Lasvit – Ein Glas-Unternehmen verbindet Tradition mit Moderne
Es gibt Geschichten, die können eigentlich nur anfangen mit: „Es war einmal...“ Also denn: Es war einmal ein junger Mann in der ehemaligen Tschechoslowakei. Er war gutaussehend, sportlich, charmant, und er hatte einen großen Traum: Tennispro . Gerade an der Schwelle zu einer erfolgversprechenden Laufbahn ereilt ihn eine Rückenverletzung, die seinen märchenhaften Aufstieg jäh stoppt. Immerhin: Ins Tennis-Team einer US-Universität wird er aufgenommen. Im Wesentlichen beschäftigt er sich an der Uni aber mit einem soliden Business-Studium. Zurück aus Amerika, nimmt ihn sein Vater zur Seite und rät ihm, seinen Drang nach Selbstständigkeit zu zügeln und erst einmal in einem etablierten Unternehmen zu arbeiten. Das Unternehmen, in dem der Sohn beginnt, handelt mit Glas und schickt den Berufsanfänger nach kurzer Schulung als seinen Agenten nach Hongkong.
Das war vor 20 Jahren, und der eigentlich immer noch junge Mann lebt noch immer dort. Seit seiner Ankunft im Fernen Osten hat sich jedoch einiges geändert. Eigentlich alles. Es ist ein lauer Sommerabend in Prag, und Leon („Wir sagen Du“) kommt bei einem Abend- essen schnell ins Erzählen. „Die Firma war noch sehr traditionsbewusst, sehr unflexibel. Sie wollten alles machen wie immer, bloß nichts anders“, erinnert er sich. „Ihre Produkte waren Kronleuchter. Mit der Zeit gehen – das wollten sie nicht.“ Der junge tatendurstige Vertriebler aber wollte mehr. Er wollte die Zukunft mitgestalten. Doch man ließ ihn nicht: „Also habe ich gekündigt und meine eigene Firma gegründet. Mit zwei Mitarbeitern.“ Das war dann der Beginn des wirklichen Märchens. Der Name Lasvit setzt sich zusammen aus „Laska“ und „Svetly“, Licht und Liebe. „Aber das erkennen nicht einmal Tschechen. Viele denken, es sei etwas Französisches.“ Leons Augen blitzen vor Vergnügen, als er dieses nahezu unbekannte Detail verrät.
Seine Kontakte im Fernen Osten machen erste Aufträge möglich. Riesige aufwendige Installationen aus Glas und Metall, mit mehr und mehr Technik angetrieben und bewegt, oft computergesteuert – für Entrees von Banken, Hotels, Casinos. Jedes ein Einzelstück, maßgeschneidert und lukrativ. 2007 für das Mira Hotel in Hongkong. 2009 für die Metro in Dubai. Das waren die ersten Deals. „Wir realisieren weltweit rund 300 solcher Projekte – jährlich. Das sind 90 Prozent unseres Umsatzvolumens.“ Aber der inzwischen 44-jährige Firmenchef will noch etwas anderes. Sein Ziel ist es, die Sparte mit Leuchten, Vasen, Trinkgläsern auszubauen. Produkte für den Markt kreieren – und zwar für den Teil des Marktes mit gutem Geschmack und Sinn für das Besondere. Strategisch hat sich Leon Jakimič dafür bestens aufgestellt. Hat erst mal den richtigen Mann an seine Seite geholt. Maxim Velčovský, der bekannteste tschechische Designer dieses Millenniums, ist seit acht Jahren Art Director des Unternehmens. Ein kräftiger Kerl, im Herzen ein bisschen Punker. Mutig und gut vernetzt. Einer, der keine kreative Extravaganz scheut.
"DIE KUGEL IST DIE FORM, AUS DER ALLES ENTSTEHT"
Im Gespräch ist Maxim mitreißend. Sein Stegreifvortrag über böhmische Glasgeschichte wird an dieser Stelle aus Platzgründen nicht wiederholt, aber dessen Quintessenz ist entscheidend: Die Glaskunst aus der Region steht für klare Schnitte und Schliffe – was Maxim direkt zu seinem ersten Kandidaten führte, den er als externen Designer engagierte: „Das ist genau die Formensprache der Arbeiten von Arik Levy.“ Der Israeli in Paris entwirft ohnehin oft so, als wolle er den berühmten tschechischen Kubismus neu interpretieren. Levy war gewissermaßen der Start einer neuen Ausrichtung. Seither entwirft ein Heer internationaler Kreativer für Lasvit, die Maxim auswählt und vor der Kooperation erst mal auf Herz und Nieren prüft. „Wir trinken zusammen ein paar Bier“, erklärt er verschmitzt. „Da zeigt sich am besten, ob sie zu uns passen.“
Den ziemlich süffigen Test bestanden außer Arik Levy unter anderem die Campana-Brüder aus Brasilien, Moritz Waldemeyer, Kengo Kuma, Nendo, AW-Designer des Jahres 2019, und Jan Plecháč gemeinsam mit seinem Studiopartner Henry Wielgus. Letztere hatten es beim Biertest leicht. Sie sind Prager. Auch wenn sie sich selbst gar nicht als ausgemachte Produktdesigner empfinden und ihr Fokus eher auf Interieurs und Installationen liegt, haben sie dem Unternehmen quasi im Vorbei- gehen seinen Bestseller beschert: die Leuchten-Familie „Neverending Glory“. In fünf Variationen haben die beiden scheinbar willkürliche mathematische Kurven um ihre Grundachse rotieren lassen und so äußerst voluminöse Leuchtkörper erzeugt. Tatsächlich sind dabei stilisierte Neuinterpretationen von Kronleuchtern berühmter Theater entstanden – dem Bolschoi in Moskau, der Scala in Mailand.
"WIR SUCHEN TECHNIKEN, UM DIE TRÄUME DER DESIGNER ZU ERFÜLLEN"
„Größere Holzformen hätten wir gar nicht zur Verfügung“, sagt Maxim, der durch einen seiner Lieblingsorte führt – das alte Modellarchiv, wo in Regalen hinter Spinnenweben übereinander gestapelt Hunderte Holzformen früherer Modelle lagern. Es befindet sich an der Produktionsstätte im böhmischen Nový Bor, etwa eineinhalb Autostunden nördlich von Prag, nicht weit von Leons Geburtsort. In den 80er-Jahren wurde hier eine ehemalige Textilfabrik umgestaltet zu einer Glasbrennerei. Mitverantwortlich dafür war Bořek Šípek, einer der großen Stars des modernen tschechischen Designs, „Mit dem konnten wir vor seinem Tod zum Glück noch eine Kooperation realisieren“, sagt Maxim.
In der Brennerei arbeiten sechs Teams gleichzeitig an acht zentral angeordneten Öfen, die von einer erhöhten Plattform bedient werden. Über Nacht werden Quarzsand, Soda, Pottasche und Feldspat neben einigen anderen Zusätzen auf 1600 Grad zu einer glühenden zähflüssigen Glasmasse erhitzt. Am Morgen hat sie sich leicht abgekühlt auf 1200 Grad, dann wird das Glas geblasen. Zuerst die größten Teile. Denn: Je heißer die Masse, desto größere Volumen können entstehen. Gegen Mittag werden schließlich die kleineren Stücke produziert.
"DESIGN, DAS MENSCHEN FREUDE MACHT"
Es beginnt mit einer Kugel. „Das ist die einfachste Form, aus der alles andere entsteht“, erklärt Maxim. Was sich aus so etwas Einfachem entwickeln kann, zeigen seine Installationen in einem Bürogebäude in Prag. Dort hat er Wandbilder erschaffen – riesige Porträts bekannter tschechischer Persönlichkeiten aus Hunderten Glaskugeln. Steht man dicht davor, sind nur einfarbige Kugeln in zwei Größen zu sehen. Wer ein paar Schritte zurücktritt, erkennt deutlich die Gesichter.
Kugeln sind wirklich nur die Grund- form. Die Gestaltungsmöglichkeiten mit Glas sind nahezu unendlich. „Wir versuchen immer wieder, neue Techniken zu finden, um die Träume der Designer zu erfüllen, also ihre Entwürfe zu realisieren.“ Und auch wenn Leons Statement ein bisschen ins Pathetische lappt, ist sein Credo doch glaubhaft: „Unsere Objekte sollen die Menschen ein wenig glücklicher machen.“
In Nový Bor entsteht auch gerade die neue Firmenzentrale. Das Unter- nehmen beschäftigt mittlerweile rund 400 Mitarbeiter, die meisten im Hand- werk. Zwischen zwei restaurierten historischen Gebäuden steht jetzt – als Verbindung der beiden alten Bauten, aber auch als Link zwischen Vergangenheit und Zukunft – ein Haus von Kopf bis Fuß verkleidet mit milchglasigen Schindeln. Eine Referenz an die Bauweise dieser Region. Das tollkühne Zwischengebäude ist die Idee von Štĕpán Valouch und Jiří Opočenský, den Gründern des Prager Architekturbüros OV-A. Ein Einbruch der Moderne in der Provinz, eine Art Zauberwesen aus einer fernen Welt. Die Einwohner nehmen es klaglos hin. Immerhin ist Glas ihr Metier. Und Lasvit hat den Menschen hier neue Perspektiven gegeben. Das klingt schon jetzt wie ein märchenhaftes Happy End.