Interior
Interior

Casa 110: Mit der Natur gebaut

In Apulien scheinen Olivenbäume allgegenwärtig. In der Nähe von Carovigno umstellen urwüchsige Exemplare die Casa 110 wie eine natürliche Fassung. Mit viel Respekt für die Natur hat Architekt Luca Zanaroli das reduzierte, lichte Wohngebäude in die Kulturlandschaft integriert
Text Jörg Zimmermann
Datum24.02.2022

Carovigno, wenige Kilometer nördlich von Brindisi. Unbestreitbar gibt hier die Natur den Ton an. Zurückgenommen, fast bescheiden integriert sich die Architektur. Stolze 186 Quadratmeter nimmt Casa 110 für sich in Anspruch, das umgebende Grundstück ist jedoch fast hundertmal so groß. Wie vielerorts in Apulien dominieren beeindruckende Olivenbäume das Bild. Knorrige Gesellen, über viele Jahrzehnte gewachsen in einer Landschaft, deren Reize zwischen dem kräftigen Blau des Himmels, dem silbrigen Grün der Bäume und den Rot- und Ockertönen des kargen Bodens changieren.

 

Im lockeren Raster des Olivenhains setzt die kantige Kubatur von Casa 110 formal einen unübersehbaren Kontrapunkt. Wände aus Bruchsteinen und glatt geputzte Flächen verbinden traditionelle Anmutung mit moderner Ästhetik. Kein Baum musste für das Gebäude weichen, gekonnt hat Architekt Luca Zanaroli es zwischen die mächtigen Stämme geschoben. Zahlreiche Fenster reflektieren die Umgebung, von innen holen die Öffnungen die Natur in den Raum. Der Durchblick wird zum Ausblick, die Fenster zur Kinoleinwand, auf der die karge Erde, üppiges Grün und der Himmel die Hauptrolle spielen.

Direkter Bezug zur Umgebung

Die Umgebung und ihre Beziehung zum Gebäude sind zentrale Aspekte bei den Objekten  von Luca Zanaroli, darunter ein weiteres Haus an der apulischen Küste in Polignano a Mare: „Dabei arbeiten wir an einer Balance zwischen den Vorstellungen der Auftraggeber, dem Respekt für die Umgebung und unserer architektonischen Idee.“ Bei der Casa 110 waren die Wünsche und Vorgaben der Eigner schnell formuliert: Das Raumangebot im Inneren sollte großzügig sein, ausreichend für die Zusammenkunft der Familie mit Freunden und Gästen. Durch unterschiedliche Außenbereiche sollten die Möglichkeiten für Begegnung und Rückzug erweitert werden und von überall der direkte Bezug zur Natur gegeben sein.

Die Küche und der Wohnraum sind der gemeinschaftliche Mittelpunkt des eingeschossigen Gebäudes. Hier kommen Bewohner und Besucher zusammen. Schiebetüren aus Glas gestalten den Übergang zum Garten fließend, große Fenster wirken wie Rahmen um die Landschaft und den Pool. Pure Materialien setzen stimmungsvolle Akzente und sind architektonisches Statement zugleich. Mit ihrer erdigen Farbigkeit schlagen die Fensterrahmen aus Cortenstahl eine unaufdringliche Brücke vom modernen Baukörper in die ursprüngliche Umgebung. Der in allen Räumen durchgängige Beton-Estrich und die gekalkten Putzwände lassen Entfaltungsmöglichkeiten für die Einrichtung, doch auch die exklusiv entworfenen Einbauten und die sorgsam ausgewählten Möbel halten sich zurück.

Edle Materialien in individueller Verarbeitung

„Die Räume sind nicht Ausstellungsort für allerlei Objekte“, betont der Architekt, „im Fokus stehen die Architektur und deren Funktionalität.“ So gliedert die mit Travertino bianco Navona umhüllte Kücheninsel den Raum, edles Walnuss-Furnier verschafft dem auskragenden Tisch wie den flächenbündig verbauten Schränken eine unaufdringliche Eleganz. 

Spätestens bei der Betrachtung der Details wird deutlich, wie wichtig Luca Zanaroli und seinem nur aus vier weiteren Architekten bestehenden Team die Auseinandersetzung mit den Räumen und deren Wirkung ist. Seit 2004 beschäftigt sich das in Bologna ansässige Büro mit privaten Neubauten und der Renovierung und Instandsetzung von denkmalgeschützten Gebäuden. Vor Ort arbeitet das Büro mit erfahrenen Handwerkern zusammen, mit vielen besteht eine langjährige Kooperation.

Im Wohnzimmer schmiegt sich eine maßgefertigte Sitzlandschaft unter das Fenster und dehnt sich von dort weiter in den Raum, fast bis zur gegenüberliegenden Feuerstelle.

Sanftes Licht in den privaten Räumen

Die Sorgfalt in Planung wie Ausführung entfaltet auch in den privaten Räumen Wirkung. Die drei Schlafzimmer mit En-Suite-Bädern halten Abstand zu den Gemeinschaftsflächen. Rückzug und Privatheit sind so garantiert. Oberflächen und Materialien wiederholen sich, finden neue Formen und sorgen gleichzeitig für ästhetische Kontinuität. Großzügige Türen führen von allen Schlafräumen direkt nach außen. Wie im gesamten Gebäude mischen sich stimmungsvoll natürliches Licht und künstliche Beleuchtung. Die weiche Ausleuchtung im Inneren bildet – ohne eine Grenze zu ziehen – einen wunderbaren Kontrast zum brillanten Sonnenlicht.

Entlang des Hauses zieht sich ein Weg aus lokalem Naturstein und mündet in sanft beschatteten Terrassenflächen, die sich weiter bis zum Pool erstrecken. Im streifigen Halbschatten wird ein großer Steintisch zum natürlichen Treffpunkt. In Küchennähe treffen sich hier die Bewohner mit ihren Gästen und genießen mit Blick in den endlos scheinenden Olivenhain die kulinarischen Köstlichkeiten der Region.