Wer wohnt denn da? Homestory & Interview mit Petra Janssen und Edwin Vollebergh
Wer immer dort lebt, furchtsam ist er – oder sind sie – nicht! Hier schreckt man nämlich weder vor riesig viel Platz noch vor übergroßen Dimensionen oder poppig buntem Farbmix zurück. Ich denke, ich liege richtig, wenn ich hinter dem Gebäude Industriearchitektur vermute. Ich kenne in Düsseldorf einen ähnlichen Komplex, das war mal ein Straßenbahndepot und beherbergt heute Fotostudios und Künstlerateliers. Macht Sinn, allein wegen des gläsernen Dachs, das viel Tageslicht in die Räume schickt. Und so vermute ich auch hier kreative Geister aus der Branche. Fotografen, Maler, Bildhauer – auf jeden Fall werden an diesem Ort Arbeiten und Wohnen vereint. Im Untergeschoss habe ich einen Zeichnungsschrank mit diesen typisch flachen Schubladen für die Aufbewahrung von großen Plänen und Entwürfen entdeckt. Es könnte also auch das Zuhause von jemandem sein, der mit Grafik, Typografie oder Lithografien zu tun hat. Und öfters mal Ausgleich für seine sitzende Tätigkeit benötigt. Dann wird wohl eine Runde Pingpong gespielt. Die Tisch-ennisplatte steht praktischerweise ja direkt in der Halle. Bei so viel Raum liegt es nahe, dass er von mehreren Menschen bewohnt wird. Vielleicht gar von einem Künstlerkollektiv?
Ein echt verrückter Ort
Weil alles so offen und ohne sichtbare Trennungen gestaltet ist, könnte es natürlich auch ein unkonventionelles Familiendomizil sein. Dann wird unten gearbeitet und oben gewohnt. Eigentlich praktisch, wenn zum Beispiel noch jüngere Kin-der zu versorgen und zu beaufsichtigen sind. Ganz klein dürfen die nicht mehr sein, das wäre zu ge-fährlich mit der offenen Balustrade oben. Aber ansonsten mutet das Ganze wie ein regelrechter Abenteuerspielplatz an. Denn selbst die wertvollen Designklassiker wirken hier viel weniger respekteinflößend als in einem klassisch gestalteten Interieur. Die coolen Soriana-Sessel von Cassina erhalten durch die Discokugel an der Decke, den orientalischen Teppich und die bunte Keramik das lässige und alternative Flair einer Flätz-Ecke. Der unglaublich lange Tisch im Erdgeschoss lässt auf überaus gastliche Bewohner schließen. Möbel und Accessoires wirken auf mich wie ein liebevolles Vintage-Sammelsurium, das nur durch jahrelange passionierte Streifzüge über Flohmärkte und durch Antiquitätenläden zusammengekommen sein kann. Dass das Ganze trotzdem modern und stylish wirkt, liegt an dem Mix mit zeitgenössischem Design wie den „Copper“-Leuchten von Tom Dixon, die über dem Esstisch schweben. Und seh ich das etwa richtig? Gegenüber steht ein Auto! Kein wirklicher Oldtimer, aber der Form nach scheint es aus den Siebzigern zu stammen. Da sieht man mal die Dimensionen dieser Location. Das ist hier wirklich groß und die Garage gleich mit inbegriffen. Crazy!
Verräterische Indizien oder Nebelkerzen?
Was die Verortung angeht, lehne ich mich aus dem Fenster und lege mich auf Benelux fest. Die ultimativen Hinweise dafür finde ich in der Küche, wo zum einen lauter Delfter Teller in charakteristischem Blau-Weiß an der Wand hängen. Noch schwerer wiegen allerdings (buchstäblich) die Holzschuhe vor der Tür nach draußen. Die trägt doch außerhalb der Niederlande niemand – glaube ich zumindest. Die Küche selbst ist derart bemerkenswert, auf diese Konstruktion muss man erst mal kommen. Die Kochinsel sieht aus wie ein ehemaliger und jetzt zweckentfremdeter Chefschreibtisch inklusive Sessel. Spüle – und ich vermute mal auf der anderen Seite Herd – sind einfach rangerückt. Pflegeleicht fugenlos ist hier nichts, aber ich schätze, die Bewohner setzen andere Prioritäten und Maßstäbe. Diese provisorische Anmutung ist Programm. Das ist wirklich originell!
Man kann den Blick schlecht lösen, aber wenn man durch die Fenster und übrigens auch die Spiegelung in den Kupferleuchten überm Tisch schaut, erkennt man ein ländliches Umfeld. Deshalb schließe ich eine Großstadt oder zumindest ein Stadtzentrum aus. Eine ehemalige Werkstatt oder Fabrikhalle wäre ja auch eher am Stadtrand zu finden. Das klingt doch schlüssig. Oder doch nicht? Für Überraschungen ist dieses Ambiente auf jeden Fall allemal gut.
Interview mit Petra Janssen und Edwin Vollebergh: Fantasie statt Abrissbirne
Die Grafikdesigner Petra Janssen und Edwin Vollebergh sahen Potenzial in der baufälligen Garage, deren Tage eigentlich gezählt waren. Unter dem Glasdach der Werkstatt sind jetzt Wohnen und Arbeiten des Paares perfekt vereint.
Tatsächlich also Niederlande. Aber wo genau und um was für ein Gebäude handelt es sich?
Wir wohnen in Hertogenbosch, im Süden der Niederlande in der Nähe von Eindhoven. Es ist eine ehemalige Garage, die wir zu einem Wohnhaus und Studio umgebaut haben. Hier befindet sich unser Designstudio Studio Boot. Wir haben es als Abrissobjekt gekauft, komplett restauriert und so eingerichtet, dass wir dort bequem arbeiten und wohnen können.
Eine Garage ist ein ungewöhnlicher Wohnort. Was hat Sie an der Immobilie gereizt?
Der Kauf ermöglichte es uns, unsere gestalterischen Fähigkeiten einzubringen. Wir haben zwei Glaskästen ins Erdgeschoss gesetzt, in die wir uns zurückziehen, um in Ruhe zu entwerfen. Der mittlere Teil ist der Ort, an dem wir Kunden empfangen oder experimentieren. Durch das Glasdach ist das zugleich auch ein großes Tageslichtstudio. Dahinter befindet sich unsere Wohnküche, die wir auch zum Arbeiten nutzen. Unten arbeiten wir also. Abends gehen wir durch die Küche nach oben in die Privaträume.
Alles wirkt so verspielt und humorvoll. Was bedeutet Wohnen und Einrichten für Sie?
Studio Boot ist das gemeinsame Grafikdesignstudio von meinem Mann Edwin und mir. Wir arbeiten gerne mit Farben und Formen und haben das in der Innenarchitektur umgesetzt. Außerdem ist uns auch die Geschichte von Möbelstücken wichtig. Manche haben wir als Prototypen gekauft oder extra anfertigen lassen. Ein wahres Herzstück ist natürlich der Schrank von unserem Freund Piet Hein Eek. Mit seinen 24 Metern trennt er die Küche vom Atelier. Wir haben ihn mit besonderen Fundstücken, wie den Skulpturen der Künstlerin Jackie Sleper, mit der wir auch befreundet sind, sowie unseren eigenen Arbeiten gefüllt. Ich denke, da wir selbst Designer sind und immer mit einer leeren Leinwand beginnen, fällt es uns auch beim Interieur nicht schwer, unsere eigene Handschrift zu entwickeln. Das Haus wurde zudem nachhaltig, mit viel Wiederverwendung umgebaut. Mit einer ausgefallenen Auswahl macht man eine Zeitreise in sein eigenes Zuhause. Das gefällt uns.
Wie fühlt es sich an, in solch einer riesigen Halle zu leben?
Der Raum und das Licht geben ein tolles Gefühl. Manchmal denke ich, wir leben in einem riesigen Zelt. Durch das spitze Glasdach ist man sehr mit der Außenwelt verbunden. Wenn Leute zu Besuch kommen, die noch nie hier waren, sagen sie beim Eintreten immer „Wow“. Das ist es, was Höhe und Licht mit einem machen. Wenn es regnet, klingt es wie Musik, und Sonnenlicht flutet hier alles.
Bleibt das Interieur statisch oder ändern Sie es öfters mal?
Dieses Gebäude fühlt sich wie ein großer Spielplatz an, auf dem jeder seinen Rückzugsort finden kann. Als die Kinder noch zu Hause wohnten, waren deren Freunde auch immer da. Wir wohnen jetzt seit zehn Jahren hier und haben in der Zeit einmal die Farbe der Wände geändert. Ich denke, das passiert bald mal wieder. Auch Weihnachten ist eine gute Gelegenheit für besondere Deko-Inszenierungen. Letztes Jahr hatten wir einen Baum in der Mitte des Gebäudes, der so hoch war, dass man ihn bis in den oberen Stock sehen konnte.
Und wie kam es dazu, dass sogar das Auto quasi im Wohnzimmer parkt?
Der Wagen ist ein Geschenk meines Mannes an mich. Ein schöner Oldtimer, mit dem wir im Sommer gerne fahren. So etwas kauft man weniger aus Vernunftsgründen, sondern weil man das Design und die Farbe liebt. Und da es sich bei unserem Haus um eine ehemalige Garage handelt, haben wir es auch einfach drinnen geparkt. Ein guter Aufhänger, um die Geschichte der Garage zu erzählen, und ehrlich gesagt auch total praktisch, weil wir mitten in der Stadt wohnen und Parkplätze rar sind.