Wer wohnt denn da? Homestory & Interview mit Architekt Mat Barnes
Ha! Beim Betrachten der Fotos fällt mir als Allererstes meine frühere Englischlehrerin ein. Sie hat uns mal eine gefühlte Ewigkeit mit britischen Sprichwörtern und Sinnsprüchen traktiert. "Waste not want not": Mit meinem angelernten Schulwissen würde ich es sinngemäß mit "Spare in der Zeit, dann hast du in der Not" übersetzen. Die Tiefgründigkeit habe ich damals allerdings selbst auf Deutsch nicht wirklich erfasst. Warum es nun hier so prominent auf den gefliesten Stufen einer Küche geschrieben steht, muss ich mir wohl erst erarbeiten. Na ja. Andererseits schreien die Schrankfronten mit ihrer scheckig-blauen und grauen Struktur geradezu nach Recycling. "Waste" bedeutet verschwenden. Also geht es vielleicht eher um zeitgemäße Nachhaltigkeit und eine politische Botschaft? Dass dies das Zuhause von Menschen mit einer Mission fürs Wohnen ist, da bin ich mir sicher.
Mat Barnes: Ein Augenzwinkern wurde gleich mitverbaut
Die Komposition unterschiedlichster Elemente scheint hier nicht nur geschmäcklerisch oder rein dekorativ. Dem Treppengeländer und den Raumhöhen nach handelt es sich um einen Altbau, der – so viel verraten die frei liegenden, rot lackierten Stahlträger an der Decke – entkernt und vermutlich durch einen Anbau erweitert wurde. Letzterer dürfte das Wohnzimmer mit den blauen Deckenstützen und dem Oberlicht sein. Die Verbindung zum Bestand bildet wie gewöhnlich ein Wanddurchbruch. Hier ist jedoch die Mauer teilweise stehen geblieben, und mit ihren herausragenden Ziegeln wirkt sie wie abgerissen.
Das Ganze hat etwas inszeniert Kulissenhaftes, da besitzt jemand eindeutig Humor. Weil auch die Kochbücher auf dem Regal alle englischsprachig sind, vermute ich, dass wir uns hier irgendwo in Großbritannien befinden. Das würde gut passen – zumal man aus dem Oberlicht einen Blick auf die Backsteinarchitektur der Nachbarschaft erhaschen kann. Aber zurück ins Haus, in dem es wahrlich viel zu entdecken gibt. Zum Beispiel die Säulen, die augenscheinlich eine statische Funktion erfüllen. Mit ihrer rot-weißen Lackierung erinnern sie an Baustellenmarkierungen, was ihnen gleichzeitig Signalwirkung und eine temporäre improvisierte Anmutung verleiht.
Bei Mat Barnes ist die gute Laune zu Hause
Dieses Haus macht einen zutiefst fröhlichen Eindruck und ist sicher das Zuhause einer ungewöhnlichen Familie. Ich stelle mir vor, wie die Kinder ihre Freunde zu sich nach Hause einladen und diese aus dem Staunen nicht mehr herauskommen. Kindisch wirkt das Ambiente aber keineswegs. Bei aller Farbigkeit ist das Interieur mit seinen originellen Einzelstücken frei von Kitsch. Die an ein außerirdisches Wesen erinnernde Porzellanfigur „The Lover“ kenne ich. Sie stammt vom madrilenischen Künstler Jaime Hayon für die spanische Luxusmanufaktur Lladró – ein begehrtes Sammlerobjekt. Deko wie auch Möbel werden insgesamt eher sparsam eingesetzt. Dennoch wirkt das Ambiente aufgrund seiner grellen Akzente und verspielten baulichen Details alles andere als minimalistisch und puristisch.
"Alles so schön bunt hier! Aber nein, psychedelisch wirkt es gar nicht, sondern von klarem, wachem Geist konzipiert."
Eine roh verputzte graue Wand im Essbereich oder der kühle Fliesenboden in Terrazzo-Optik täuschen nicht darüber hinweg, dass hier lieber aufmüpfiger Memphis-Style gefeiert denn kühle Loft-Atmosphäre gelebt wird. Frei assoziiert glaube ich, dass das Haus von Kindern der 1980er Jahre bewohnt wird, um die vierzig, mit kreativen Berufen – vielleicht in einer Werbeagentur? Zwischenzeitlich habe ich meine Suchmaschine doch noch einmal mit dem Treppenspruch gefüttert. Die moderne Interpretation geht – wie vermutet – in Richtung von Müllvermeidung und dem verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen. Diesen Vorsatz im Zuhause zu manifestieren ist ein Statement – und wer hier wohnt, da bin ich mir sicher, nimmt den Aufruf ernst, ohne dogmatisch zu sein. Dafür strahlt dieses für mich irgendwo in Großbritannien zu verortende Zuhause jedenfalls viel zu viel unkonventionellen Charme aus.
Was für ein fröhliches Haus! Es erinnert stark an Memphis. Fühlen Sie sich der Philosophie verbunden?
Ich mag Memphis, ja, aber dieses Projekt ist viel mehr von Referenzen als von Farben und Mustern bestimmt, würde ich sagen. Theater und Film haben mich inspiriert. Das Haus öffnet sich allmählich und wechselt von der Dunkelheit ins Licht, als würde man aus dem Schatten der Kulissen auf die Bühne treten. Und unseren Hauseingang ziert zum Beispiel eine Nachahmung der Matterhorn-Achterbahn in Disneyland.
Und welche Bedeutung haben Farben für Sie?
Wir sind in der Natur und in der Außen-welt von Farben und Texturen um-geben. Ich fände es deshalb seltsam, wenn man keine Farben und Texturen in sein Haus holt. Für mich gehört die schlichte weiße Galerieästhetik dann auch in die Galerie und nicht in die Wohnung.
Sie sind Architekt. Was ist für Sie das wichtigste Kriterium beim Bau oder bei der Renovierung eines Hauses?
Erstens müssen die Räume gut funktionieren, und zweitens glaube ich, dass es wichtig ist, die Vorlieben und die Persönlichkeit des Eigentümers bei der Renovierung widerzuspiegeln. Die architektonischen Elemente wie Wände, Fußböden und Treppen sollten immer im Vordergrund stehen und nicht als einfacher, unspektakulärer Hintergrund dienen
Wo in London befindet sich das Haus und wie muss ich mir die Umgebung vorstellen?
Wir leben in Sydenham im Südosten der Stadt, umgeben von ganz normalen Häusern. Vor dem Haus gibt es einen Park, es ist eine sehr idyllische Lage mit viel Grün drum herum. Von der Straße aus betrachtet fügt sich unser zweistöckiges Gebäude auch völlig nahtlos in die benachbarten roten Backsteinhäuser ein.
Wer ist hier zu Hause?
Meine Frau und unsere zwei Kinder, wie sind also zu viert. Es ist das ideale Haus für eine Familie, für die Kinder und auch für uns. Wir freuen uns, wenn unsere Tochter erzählt, dass sie einen eigenen Berg auf dem Dach ihres Hauses hat.
Was hat es mit diesen roten und weißen Säulen auf sich?
Die roten und weißen Stützen stellen Vermessungsstangen dar, mit denen die Geomatiker Land vermessen. Nachdem wir die Landschaftsthemen für das Haus festgelegt hatten – den Berg für den Hauseingang, die Esszimmerwand als Höhle und den Esstisch als See – wählten wir Elemente aus, die mit der Geomatik zu tun haben.
"Das Haus öffnet sich allmählich, als würde man aus dem Schatten auf die Bühne treten."
Wie kam es zu der Abrisswand?
Wir haben das Haus in einem halb verfallenen Zustand gekauft und wollten eine Erinnerung daran schaffen. Die Komposition der Wand ist dem Film „Trainspotting“ von Danny Boyle entnommen, in dem es eine Szene gibt, die für mich die archetypische zerstörte Wand darstellt.
An wen richtet sich die Botschaft "Waste not want not"?
Das ist einerseits eine Familien-erinnerung. Meine Großmutter hat diesen Spruch immer in der Küche gesagt. Andererseits ist es für uns auch eine Anspielung auf die nachhaltigen Materialien, die bei dem Projekt ver-wendet wurden. Die beste Art, ein Haus energieeffizient zu gestalten, ist, alle Abfälle und Reste nach Möglich-keit anderweitig zu verarbeiten. Wir haben die Reststücke der Küche zur Verkleidung der Laibungen des alten Hauses verwendet. Die Überbleibsel der Platten wurden für die Seiten-ansicht des Anbaus gebraucht. Mit übrig gebliebenen alten Ziegeln haben wir schließlich eine neue Terrasse am Ende des Gartens angelegt.