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Wer wohnt denn da? Homestory & Interview mit André Heller

Hier ist eindeutig Ethno-Mix angesagt. Zu wohlkuratierten Designklassikern gesellt sich bei André Heller afrikanisches Kunsthandwerk vor einer Kulisse von ikonischen Meisterwerken der Moderne. In unserer Homestory öffnet der in Wien geborene Tausendsassa die Türen zu seinem Domizil vor den Toren Marrakeschs und berichtet im Interview, welche Bedeutung Marokko für ihn hat.
Text Ute Laatz
Datum15.09.2022
Für den Kamin wurde ein Loch in ein großflächiges Graffiti-Werk von Basquiat geschnitten. Die Idee ist originell und im höchsten Maße unkonventionell

Ha, da hat jemand Chuzpe bewiesen. Es scheint, als ziere die komplette Kaminwand ein Werk von Basquiat, dem leider früh verstorbenen Enfant terrible der US-amerikanischen Graffiti-Kunst. Ein Original ist das aber nicht, denn der Bewohner dieses in meinen Augen in jeder Hinsicht außergewöhnlichen Zuhauses hat es einfach um den Kamin herum ausgeschnitten. Dieser Umgang weist für mich aber nicht etwa auf Ignoranz, sondern auf einen souveränen, humorvollen Umgang mit Kunst hin. Denn allein die Bild- und Motivwahl ist doch alles andere als konventionell. Und lässt auf einen kulturellen Background schließen. Man könnte sagen, jemand hat es für sich im wahrsten Sinne des Wortes passend gemacht. Genau wie das Basquiat-Werk ist auch eine Keith-Haring-Replik – ich nehme jedenfalls an, dass es sich ebenfalls nicht um ein Original handelt – auf Leinwand gedruckt worden und mit Ösen ringsum verstärkt. Als wären sie mal Teil eines Bühnenbilds oder von etwas Ähnlichem gewesen.

Unter der traditionell bemalten Decke schwebt die Silhouette eines Lampenschirms. Als Lichtquelle nicht die stimmungsvollste Lösung, aber witzig

Wandel zwischen den Kulturen

Und wo befindet sich das alles? Die Architektur wirkt auf mich auf jeden Fall eindeutig arabisch. Die Kuppel der Bibliothek erinnert an „Maschrabiyya“, diese typisch orientalischen geschnitzten Fensterverkleidungen, die zum einen vor Blicken schützen sollen oder wie hier vermutlich die Luftzirkulation im Raum ermöglichen. Wir dürfen also davon ausgehen, dass dieses Haus in sehr südlichen Gefilden steht. Da kommt für mich der Nahe Osten, aber auch der Maghreb infrage – Tunesien oder Marokko womöglich?

Solche Kopfskulpturen sind typisch für die Volksgruppe der Bamileke, die grün-gelb-rote Farbigkeit verweist auf Kameruns Nationalflagge

Der arabische Bezug

Auf Afrika weisen schließlich auch die Skulpturen auf dem langen Tisch vor der Keith-Haring-Leinwand hin. Die Kopf-Skulptur stammt vermutlich aus Kamerun – dort jedenfalls werden Masken traditionell von den Bamileke, einer Volksgruppe des Landes, gefertigt. Diese Inszenierung ist, finde ich, fantastisch choreografiert – wer immer hier wohnt, besitzt ein Händchen für Effekte. Und trotz aller afrikanischen und arabischen Verweise würde ich bei den Hausherren auf eine abendländische Herkunft tippen. Darauf deuten zumindest die Einrichtung mit Designklassikern wie dem roten Kubus Sessel des Wiener Architekten Josef Hoffmann sowie die insgesamt eher reduzierte Inszenierung von Möbeln, Deko und Kunst hin. Bemerkenswert finde ich da auch das Calder Mobile unter der bereits erwähnten Kuppel in der Bibliothek. Überhaupt diese Bücherwand! Außer dem Picasso-Bildband kann ich keine Titel lesen, aber ich bin mir sicher, dass hier anregende Lektüre zu der ein oder anderen Lesestunde im Sessel animiert. Mit einer weiteren spektakulären Zimmerdecke wartet das Esszimmer auf. Die bemalte und verzierte Balkenkonstruktion erinnert mich an Andalusien – also wieder ein historisch arabischer Bezug.

Auch wenn hier wirklich passionierte Teetrinker wohnen – die in Reih und Glied aufgestellten Kannen deuten doch eher auf eine Sammelleidenschaft hin

Wer wohnt denn da? Teekannen werfen weitere Fragen auf

Auch die Kunst passt ins Bild sowie die ikonische grüne Tamegroute-Keramik. Der Persönlichkeit des Bewohners oder der Bewohnerin bin ich noch nicht nahegekommen, und die Kollektion von akribisch aufgereihten Teekannen wirft weitere Fragen auf. Wird daraus auch serviert oder sind es reine Sammlerobjekte? Schwer zu sagen. Frei assoziiert stelle ich mir hier einen Kunstmenschen oder Kulturschaffenden – aus Frankreich womöglich – vor. Dieser hat sich einen Zweitwohnsitz irgendwo in der Medina von Tanger, Marrakesch oder Kairo geschaffen. Das sind Sehnsuchtsorte der europäischen Boheme – und zu einem ihrer Mitglieder passt dieses Domizil wie angegossen.

André Heller

Herr über gute Geister: Interview mit André Heller

Wenn man es weiß, ist es leicht! Das Haus ist das afrikanische Domizil von André Heller, inmitten des von ihm geschaffenen Gartenparadieses Anima. Vor den Toren Marrakeschs hat sich der Universalkünstler einen Ort zum Ankommen geschaffen

A&W: Lieber André Heller, Sie sind das also, der hier wohnt. Das Gebäude macht mit Kuppel und Holzbalkendecke einen historischen Eindruck. Ist es alt oder haben Sie es neu bauen lassen?

André Heller: Alles ist neu geplant und alles aus meinen umfangreichen Sammlungen, das mir für diese Unternehmung hohe Qualitäten beifügen konnte, hat dort einen Platz erhalten.

A&W: Es scheint, Sie waren immer auf der ganzen Welt zu Hause. Welche Bedeutung hat Marokko für Sie?

André Heller: Überwiegend bin ich in Marokko zu Hause. Mir hat Europa nie besonders gutgetan. Dort war mir immer zu viel Getue und Gschaftlhuberei, wovon ich tragischerweise gelegentlich auch ein Teil war. In Anima darf ich konzentriert auf Wesentliches inmitten höchster Energien und Schönheit leben. Es gibt dort ein Haus für Gespräche, Häuser zum Schlafen, eins zum Kochen und Speisen, ein Kaffeehaus, einen Hamam, ein großes Arbeitsatelier, ein Refugium für meinen geliebten Sohn mit seiner Familie, eins für die wunderbare Tochter meiner Frau und eines nur für sie selbst. Es ist ein ausredenfreies Glück, dort leben zu dürfen.

A&W: Besucher können Ihren Garten besichtigen und machen regen Gebrauch. Anima ist eine Art Pilgerstätte. Wie viel Privatsphäre bleibt Ihnen da?

André Heller: Anima ist ein acht Hektar großes Selbstporträt von mir, in das alles eingeflossen ist, was ich in 75 Jahren an mir wesentlichem Wissen erworben habe: meine Erfahrungen mit Menschen und Inszenierungen, auch jene mit unterschiedlichen Handwerkstraditionen und Materialien, mit Botanik und Wunderkammern, mit Licht und Schatten, Skulpturen, Düften, Kunstinstallationen, den Geräuschen des Windes und Wassers, über allem der Zauber der prachtvollen afrikanischen Vögel, um nur einiges zu nennen. Wir wollen nicht mehr als 450 Besucher pro Tag, es darf kein touristisches Gedränge geben, sondern es muss ein Ort zum Auszittern und zur Besinnung bleiben. Aber der öffentliche Park ist selbstverständlich wirksam vom privaten Teil getrennt.

A&W: Normalerweise bringen Sie Menschen mit Ihrem Talent und Ihrer Kunst ins Staunen. Was fasziniert Sie an diesem Ort?

André Heller: Meine Liebesgeschichte mit diesem Land hat bereits 1972 begonnen. Damals konnte ich vier Monate lang Marokko vom Mittelmeer bis zur Sahara und vom Riffgebirge bis zur Atlantikküste bereisen. Ich empfand es als einen Rausch an Schönheit und imponierend mannigfaltigen, oft auch verwirrenden Eindrücken. Ab dann kam ich jedes Jahr wieder, um mich mit den hier reichlich vorhandenen Stärkungen aufzuladen und zu inspirieren, bis ich mich sehr spät 2006 endlich hier ansiedelte. In Marrakesch erlebe ich mich als fähiger, beflügelter und so weit als irgendwie möglich geborgener als anderswo.

A&W: Um ins Haus zurückzukehren: Was hat es mit den Werken von Haring und Basquiat auf Leinwand mit Ösen auf sich?

André Heller: Viele Skulpturen und Zeichnungen sind Splitter, die mir von meinen Expeditionen in schöpferische Projekte übrig geblieben sind. Keith Haring, aber auch Basquiat haben bei einigen meiner Shows und anderen Verwirklichungen mitgewirkt. Deren Handschrift finden Sie hier häufig.

A&W: Ein Hingucker ist der rote Josef-Hoffmann-Sessel. Haben Sie hier bewusst österreichische Designgeschichte platziert?

André Heller: Ich bin ein Eklektiker und mische, was auch immer mir imponiert oder mich zu erbauen oder zu trösten vermag. Josef Hoffmann habe ich übrigens als Kind, Anfang der 1950er Jahre, noch persönlich kennengelernt. Er hat mir beigebracht, wie man eine Krawatte bindet.