Valentina Audrito: Strandvilla vor Bali wird zum Tropentraum
Valentina Audrito genießt ein Privileg
Die Lage überwältigt. Und dann die Farben: In bestimmten Lichtstimmungen wirken sie in ihrer Strahlkraft geradezu surreal. Die feine weiße Sandbank geht über in türkis schimmernde Wellen, das kräftige Himmelblau ist von grünen Mangroven-Kronen durchsetzt. Der in vielen Regionen bedrohte Tropenbaum ist hier, in der Sandy Bay von Nusa Lembongan, Teil eines kleinen Paradieses, das von der lokalen Regierung streng gehütet wird. Auf der touristisch noch nicht überlaufenen Insel vor Bali ein Haus zu errichten, stellt ein Privileg dar. Und zugleich eine enorme Herausforderung. Die Architektin und Designerin Valentina Audrito hat diese mit bewusster Zurückhaltung angenommen und bei der Strandvilla darauf geachtet, mit Gestaltungselementen nicht gegen die Aura der mächtigen Natur zu arbeiten: „Ich habe mich auf die Farben Weiß und Blau konzentriert, bin einfachen geometrischen Linien gefolgt.“ Sie sieht ihr Haus „Seascape“ als Teil der Meereslandschaft.
Ein Sehnsuchtsort, südöstlich von Bali
In der wunderschönen Bucht, geschützt von schroffen Klippen, war aufgrund des begrenzten Baulandes und behördlicher Vorgaben eine äußerst kompakte, zweigeschossige Lösung gefragt. Der Hauptbereich umfasst eine offene Küche, vier Schlafzimmer, Bäder und gemeinschaftlich genutzte Wohn- und Essräume, die in doppelter Höhe mit starkem Lichteinfall angelegt sind und somit eine luftige Atmosphäre schaffen. Ein weiteres Gästezimmer wurde auf dem leicht versetzten, unauffälligen Servicetrakt platziert. Die Gemeinschaftsräume führen in einen Bereich mit Pool und Terrasse, wo eine Natursteinmauer und die von Pastellfarben geprägte Außen-Lounge das Gebäude harmonisch zum Strand hin verlängern. Das Anwesen wird eins mit der kleinen, nur acht Quadratkilometer umfassenden Inselwelt Nusa Lembongan inmitten des Indischen Ozeans. Es ist ein Sehnsuchtsort für Surfer, Individualisten und Menschen, die sich diese exklusive Idylle südöstlich von Bali leisten können.
Italienischer Charme und Liebe zu Bali
Erbaut wurde die Villa für eine Eigentümer-Gemeinschaft, eine Freundesgruppe, die ein Domizil für exklusive Auszeiten gesucht hatte, für Urlaube, aber auch für Kreativtreffen und Partys. Zu den Nutzern gehören ein Filmregisseur, Werbeunternehmer aus Hongkong und eine Familie aus Malaysia mit Verbindungen zum Königshaus. Mit der Wahl der Architektin war der Wunsch verbunden, das Haus klar in seiner tropischen Umgebung zu verorten, ihm jedoch zugleich ein besonderes Flair hinzuzufügen. So flirren durch die Räume andere kulturelle Einflüsse, die in der Vita von Valentina Audrito verwurzelt sind. Die italienisch-griechische Tochter eines Turiner Architekten kam mit zehn Jahren erstmals nach Bali und entwickelte eine Liebe zu der indonesischen Insel, die sie nicht mehr losließ. Nach ihrem Architekturstudium und ersten Stationen in Europa ließ sich Audrito vor einigen Jahren fest hier nieder. Die mit ihrem Ehemann Abhishake Kumbhat gegründete Firma Word of Mouth (WOM) verbindet konsequent Architektur mit Innendesign: „Im Außenbereich bin ich Minimalistin, beim Interieur sehe ich mich dagegen eher als Maximalistin.“ In der Villa „Seascape“ fügen sich etliche von ihr maßgefertigte, von Meeres- und Himmelfarben inspirierte Möbelstücke in die Inneneinrichtung. Diese hat Audrito mit Zimmerleuten, Steinmetzbetrieben und anderen ortsansässigen Werkstätten umgesetzt: „Qualität und Vielfalt des Handwerks auf Bali sind erstaunlich.“ Zum vorherrschenden rauen Weiß der Innenwände setzt Audrito verspielte Akzente mit Terrazzo-Oberflächen, poliertem Beton, Kieselsteinböden und Hölzern. Die zylindrischen Keramik-Pendelleuchten in Blau und Weiß unterstreichen – wunderbar schwebend unter den riesigen Decken im Wohnbereich – einen mediterranen Esprit und den Kontrast zu den hölzernen, in den Tropen unverzichtbaren Ventilatoren. Gefertigt wurden die Leuchten in der Manufaktur Gaya auf Bali, deren Gründer wie die Architektin ursprünglich aus Italien stammen. Ein fruchtbares Teamwork.
Wechselspiel aus Eckigem und Rundem
Das Gebäude wirkt außen wie innen in all seinen Ausprägungen sehr organisch. Es ist vor allem ein stimmiges Wechselspiel zwischen Kreisen und Kugeln, Quadraten, Rechtecken, sogar einer Triangel. Der Eingangsbereich wurde rund und einladend gestaltet, der zur Ozeanseite lang gezogene Pool in eine geschwungene Terrasse eingebettet. Einige Innenwände hat die Architektin mit Kreisen durchbrochen – was auf dezent ornamentale Weise für mehr Transparenz sorgt. Auch die ergänzenden Sitzmöbel folgen dieser Dramaturgie aus Eckigem und Rundem. Poufs und Polsterelemente lockern strenge Linien auf, während ein kantiger Sessel den Kontrapunkt in einer runden Wandnische setzt. „Wir verwenden Kugeln und quadratische Formen in vielen unserer Designs, da die reine Geometrie aus sich heraus die richtigen Proportionen und etwas Fließendes mit sich bringt“, sagt Valentina Audrito, für deren Marke WOM fünf ArchitektInnen und zwei DesignerInnen arbeiten – an den Standorten Bali, Singapur, London und Turin. Als große Inspiration bezeichnet die Inhaberin Oscar Niemeyer, den brasilianischen Architekten und Schöpfer der Kunststadt Brasília, der organische, fließende Linien in die Moderne geholt hat.
Die Natur als reichhaltiger Formgeber
Oscar Niemeyer hat sich seine architektonische Signatur in der Natur abgeschaut und die Formen von Bergrücken, Wolken, Flussverläufen und menschlichen Körperrundungen umgesetzt. Das ist ein Ansatz, der sich auch in der Arbeit von Valentina Audrito spürbar entfaltet. In ihrem privaten, von einem Park umgebenen Haus in Canggu auf Bali fällt ein Tisch-Ei als extravagantes Möbel sofort ins Auge – der Fuß weiß, die zu öffnende Platte des multifunktional nutzbaren Tisches in Dottergelb. „Das Ei ist für mich die perfekteste und zugleich faszinierendste Form, die die Natur für uns bereithält“, sagt die Mutter zweier Kinder. Es gibt inzwischen eine ganze Möbel-Kollektion namens „Le Uvo de Leon“ bei WOM.
Auf ein Ei-Möbel hat Valentina Audrito in ihrer „Seascape“-Villa verzichtet. Gelb ist hier äußerst dezent im Einsatz. Doch neben den offensichtlichen Kreisen, die das ozeanische Blau ins Haus ziehen, entdeckt man schließlich auch ovale Wohnelemente. Auf den zweiten, intensiven Blick.