"Palais Bulles": Das kleine Paradies von Antti Lovag und Pierre Cardin
Pierre Cardin liebte Kreise. Auch deshalb entdeckte der französische Modedesigner auf einer Klippe an der Côte d’Azur sein "kleines Paradies" – einen von Antti Lovag geschaf-fenen Palast voller Blasen, den "Palais Bulles". Vereint in ihrem Misstrauen gegenüber rechten Winkeln, machten der Erfinder der futuristischen Mode und der ungarische Architektur-Vordenker das Bauwerk in Théoule-sur-Mer nahe Nizza weltberühmt. "Runde Formen haben mich schon immer inspiriert", sagte der vor zwei Jahren verstorbene Pierre Cardin einmal, und die zellulären Formen scheinen der physische Ausdruck meiner idealen Umgebung zu sein. Als ich von dem Projekt hörte, ein Haus komplett aus runden Flächen zu bauen, wusste ich, dass es perfekt in mein Universum passen würde." Pierre Cardin erwarb das "Palais Bulles" im Jahr 1991. Doch schon in den Fünfzigerjahren erfand der Designer das passende Outfit dazu – sein legendäres "Blasenkleid", bei dem er sich in den Fünfzigerjahren von der Ästhetik des Weltraumzeitalters inspirieren ließ. Geboren in Italien, hatte sich Cardin schon in den 1920er-Jahren in der Modemetropole Paris niedergelassen, mit Christian Dior zusammengearbeitet und 1950 sein eigenes Atelier gegründet. Als talentierter Jungdesigner mit Geschäftssinn expandierte Cardin schnell, und die Marke Pierre Cardin war bald in der ganzen Welt bekannt.
Der Blasen-Palast – eine runde Baugeschichte voller Leidenschaft Cardins Vater hatte sich gewünscht, dass sein Sohn Architektur studiert. Auch wenn es ihn zur Mode zog, blieb die Welt der Innenarchitektur eine ständige Inspirationsquelle für den Wahl-Franzosen, der Restaurants besaß und etliche Häuser erwarb, keines jedoch so extravagant wie das "Palais Bulles": "Dieses Haus drückt meine ganze Kreativität aus. Es ist ein Knotenpunkt der Künste und ein Ort, an dem ich nach meinen eigenen Entwürfen leben kann – eine Quelle der Ruhe und Energie." Die Ursprünge des Blasen-Palastes reichen bis in die Siebzigerjahre zurück. Das Haus wurde von dem französischen Industriellen Pierre Bernard in Auftrag gegeben, der sein Vermögen in der Automobilindustrie gemacht hatte. Bernard arbeitete zuerst mit Antti Lovag an dem Familienhaus "Maison Bernard", ebenfalls in Théoule-sur-Mer. Bernard und Lovag beschlossen, sich gemeinsam dem viel ehrgeizigeren Projekt "Palais Bulles" zu widmen. Der in Ungarn geborene und in Schweden und Frankreich ausgebildete Antti Lovag (1920–2014) war ein Verfechter einer dynamischen, ausdrucksstarken Architektursprache. Lovag, der auch Schiffsbau studiert hatte, liebte fließende, organische Formen: "Wenn es einen rechten Winkel gibt, ist es wie ein Schatten, der ein unerträglich negatives Gefühl erzeugt. Wie in einem Gefängnis."
"Ich brauche Wellen und Wellen. Betrachten Sie die Natur. Sie hat keine rechtwinkligen Linien." Antti Lovag ließ kugelförmige, miteinander verbundene Formen über die Landschaft fließen. Die Kapselhäuser entstanden vor allem entlang der französischen Riviera, darunter das "Maison Gaudet" in Tourrettes-sur-Loup. "Ich dachte über Gebäude nach, die vor Ort nach den Vorstellungen bestimmter Personen zusammengeschustert wurden", sagte Lovag. "Doch anstatt mit vorgefertigten Paneelen zu bauen, begann ich mit biege- und veränderbaren Rahmen zu experimentieren, kombiniert mit Betonoberflächentechniken. Auf diese Weise konnten sich Formen wieder bewegen."
Wie eine Meereskreatur, die sich auf der Klippe sonnt
"Palais Bulles" war Antti Lovags Meisterwerk. Es wäre beinahe nicht vollendet worden, nachdem sein Auftraggeber Pierre Bernard 1991 einen Herzinfarkt erlitten hatte. Daraufhin wandte sich Bernards Familie an den Modedesigner: "Sein Sohn kam zu mir und sagte: ‚Du hast dieselbe ästhetische Vision wie mein Vater. Er hätte gewollt, dass du das Haus kaufst.‘ Dann machten Antti Lovag und ich uns daran, die Pläne zu vollenden." Pierre Cardin erweiterte die ursprüngliche Vision noch. Am Ende entstanden 28 Schlafzimmer sowie ausgedehnte Wohnbereiche. Das Geflecht aus den Kapseln erinnert an ein Fantasiewesen aus dem Meer, das sich mit blinzelnden Augen auf der Klippe sonnt. Der Architekt Lovag stattete die Terrakottakugeln im rötlichen Ton des nahen Esterel-Gebirges mit verschiedenen Arten von Fenstern und Öffnungen aus. Die Terrassen, Wasserbecken und Gärten sind in die organische Komposition eingebunden. Neben dem Haus ließ Cardin ein Amphitheater bauen. Cardin nahm großen Einfluss auf die Gestaltung der Innenräume. Hier hätten viele herkömmliche Möbel niemals funktioniert. Der Modedesigner entwarf auch einige Interieurs selbst. „Der Kreis ist eine Konstante in all meinen Kreationen“, betonte Cardin. "Im Universum ist alles rund, von den Planeten über Staubkörner bis hin zu menschlichen Zellen und der Unendlichkeit des Kosmos. In der Mode suchte ich die Perfektion des Kreises durch die Konstruktion meiner Kleidung, meiner Formen, meiner Materialien. Antti Lovags Vision entsprach genau der Architektur, die ich mir gewünscht hätte."
Designer wie Pierre Paulin, Claude Prévost und Patrice Breteau lieferten runde Betten und Sessel im futuristischen Design. Cardin kuratierte Werke von Künstlern wie Gyula Kosice und Darío Villalba Flores. So gelang es Cardin, den schlafenden Riesenkörper "Palais Bulles" zum Leben zu erwecken. Cardin: "Alle meine anderen Häuser sind nur aus Geld gemacht. Was Sie hier sehen, ist mein Charakter, meine Liebe und mein Leben." Nachdem Antti Lovag im Geist der Seventies mit den Arbeiten begonnen hatte, war das Projekt schließlich Anfang der Neunzigerjahre vollendet. Die zwanzigjährige Bauzeit hatte sich gelohnt. Es entstand ein dramatisches, originelles und ikonisches Bauwerk, das zum Schauplatz ungewöhnlicher Foto-Inszenierungen, Mode-Events und Partys mit spektakulärer Kulisse wurde. Das „Palais Bulles“ befindet sich noch im Besitz des Modehauses Pierre Cardin. Das Zusammentreffen von Antti Lovag und Pierre Cardin hat sich als eine himmlische Fügung herausgestellt. "Das Haus ist als Kunstwerk klassifiziert und niemand wird jemals das Recht haben, es zu berühren", sagte Cardin kurz vor seinem Tod. "Jedes Mal, wenn ich herunterkomme, lade ich mich spirituell, moralisch und psychologisch auf. Es ist wie ein Kloster."