Interview zum Thema Home Office: "Wir benötigen andere Formen der Arbeit"
Sie beide führen große erfolgreiche Unternehmen, die sich mit der Arbeitswelt anderer beschäftigen. Inwiefern fließen Ihre eigenen Erfahrungen mit Mitarbeitern in Ihre Entwicklungen und Angebote mit ein?
MB: Als Hersteller von Möbeln für Arbeitswelten sehen wir unsere Produkte als Werkzeuge und als Unterstützung für eine funktionierende Infrastruktur. Wir selbst sind unsere kritischsten Nutzer. Ein Stuhl, der gut aussieht auf dem man aber schlecht sitzt, wird man bei uns nicht finden. Wir sind Entwickler, Produzenten und Verkäufer und durchleben selbst jeden Prozess.
PI: Wir als Gestalter verstehen uns als Spiegel der Gesellschaft, das lässt sich voneinander gar nicht lösen. Nehmen wir nur die Pandemie. Wir haben die im Team erlebt und waren uns von Anfang sicher, da gehen wir besser raus, als wir reingegangen sind. Die Erfahrungen waren kollektiv und intensiv und fließen selbstverständlich in unsere Arbeit mit ein.
Wie sind Ihre persönlichen Eindrücke im eigenen Umfeld mit Mitarbeitern im Homeoffice bzw. in hybrider Arbeitssituation?
PI: Wie viele Jahre haben wir gefragt, ob Homeoffice geht? Wir haben endlos über Digitalisierung diskutiert. Ich sehe viel Kraft in dieser Chance zum Wandel und glaube an das Potential, das darin steckt. Wir müssen erkennen, dass wir in unserer kleinen Welt Europa etwas zu verlieren haben, entgegen den Gesellschaften, die gerade gewinnen und ihren Lebensstandard verbessern. Wir werden dazu gezwungen, uns zu bewegen und sollten diese Situation nutzen.
MB: Unsere Handwerker und die Näherin an der Maschine sind naturgemäß weiterhin vor Ort gewesen. Man darf die Menschen nicht vergessen, die mit ihren Händen physisch etwas schaffen und nicht ins Homeoffice können. Aktuell kommen alle sehr gern ins Büro zurück. Die These vom Ende des Büros ist eine Illusion. Arbeiten mit Laptop am Machu Picchu? Solche Ideen sind Sehnsuchtsbilder, die sich vereinzelt auch umsetzen lassen, aber in der Breite ist das Büro ein wertvoller Ort der Kommunikation. Physischer Kontakt ist enorm wichtig. Wir Menschen brauchen das auch von Natur aus.
PI: Immer, wenn gesagt wird, irgendetwas sei heilsbringend, stimmt das sowieso nicht. Das gilt auch für das Homeoffice. Da schwingen immer Interessenfragen mit. Vom Personalwesen bis zum Facility-Management: Jede Abteilung im Unternehmen hat ein anderes Interesse. Der Immobilien-Verantwortliche sagt, Homeoffice ist eine gute Chance, Fläche zu reduzieren. Und das passiert ja gerade tatsächlich. Aber der physische Ort hat eine Kraft und Qualität, die wir immer brauchen werden. Unsere Wissensgesellschaften benötigen heute andere Formen der Arbeit: Co-Working, Corporate Hubs und natürlich das Homeoffice als Erweiterung.
Wie lässt sich der Mangel an Kontakten und die eventuell loser werdende Bindung an das Unternehmen und die Kollegen kompensieren?
MB: Für eine kurze Zeit und ein eingespieltes Team ist das Arbeiten auf Distanz noch kein Problem. Aber wenn neue Leute hinzukommen, die sich nicht kennen und es zum dauerhaften Zustand wird, wird es schwierig. Man muss permanent Kontakt halten. Und ich finde, wir müssen die Leute zurückholen und Rahmenbedingungen schaffen, die ein sicheres Zusammenkommen unter Pandemiebedingungen ermöglichen.
Ich sehe auch die Gefahr der Vereinsamung. Man ist zwar Herr über seine Zeit, aber immer nur allein vor dem Bildschirm zu sitzen – da geht etwas Wesentliches für die Menschen als soziale Wesen verloren.
Wie verhilft man den Mitarbeitern zu einer ausgeglichenen Work-Life-Balance?
PI: Starre Modelle mit festen Abteilungen sind ein Stück weit veraltet. Heute stellen viele Unternehmen Teams aufgabenbezogen zusammen. Da arbeiten dann unterschiedliche Disziplinen und Ressorts gemeinsam an einem Thema. Nach Fertigstellung gehen sie wieder auseinander und finden sich in neuen Konstellationen zusammen. Diese Art von Arbeit verändert Prozesse und natürlich auch die Kontrolle. In dieser neuen Flexibilität sehe ich für den Einzelnen die Möglichkeit zu mehr Teilhabe und damit letztendlich auch ein erfüllteres Arbeitsleben.
MB: Wir müssen für genügend Ruhephasen sorgen, um Gelegenheit zum Aufzutanken zu bieten. Da ist die jeweilige Führungskraft mit ihrer Vorbildfunktion nicht zu unterschätzen. Ein Chef, der abends keine Mails mehr beantwortet, fordert das selbstverständlich auch nicht von seinen Mitarbeitern. Mit der Auflösung der klassischen Neun-bis-fünf-Jobs erleben wir gerade eine Entgrenzung der Arbeit – und daraus ergibt sich eine höhere Verantwortung des Einzelnen, auch mal Stopp zu sagen.
Welchen Stellenwert hat die Büroeinrichtung – zu Hause und im Unternehmen?
PI: Das Büro ist kein Container mehr für Schreibtische. Heute prägen wir mit der Einrichtung die Kultur, Identität und Kommunikation eines Unternehmens. Das ist der größte Paradigmenwechsel. Und es stellt sich in Zeiten von Homeoffice vielfach die Frage, warum gehe ich zurück ins Büro. Die richtige Antwort muss da sein: Weil ich will, und nicht, weil ich muss. Dazu kommt, dass die Nachfrage nach Teilzeit noch nie so hoch war wie im Moment. Unternehmen müssen den Menschen mehr bieten als einen Arbeitsplatz. Es Kultur zu nennen, trifft den Kern, denke ich.
MB: Physisches Aufeinandertreffen im Büro ist immens wichtig. Die Erfahrung zeigt, wie viel Output gerade die ungeplanten Zusammentreffen liefern. Dafür wollen wir Momente schaffen und Räume kreieren, wo diese Treffen möglich sind. Eine Cafeteria hat heute eine andere Aufgabe: in einem lockeren Rahmen zusammenkommen und die Beziehungen unter den Abteilungen, zwischen einzelnen Mitarbeitern und zu Geschäftspartnern vertiefen.
Was das Homeoffice angeht, ist es ergonomisch betrachtet für viele ein großer Rückschritt im Arbeitsalltag. Moderne Unternehmen bieten ihren Mitarbeitern höhenverstellbare Schreibtische und einen ergonomischen Stuhl.
Neben attraktiven Gehältern spielen zunehmend auch das Arbeitsumfeld und flexible Zeiten eine Rolle bei der Wahl des Arbeitgebers. Welche Konzepte halten Sie für erfolgreich für beide Seiten?
PI: Wir haben längst einen Arbeitnehmermarkt. Und das Arbeitsleben ist heute viel vielschichtiger als bei den Eltern und Großeltern. Das Unternehmen muss seinen Beschäftigten ein attraktives Angebot zur Teilhabe und zur persönlichen Weiterentwicklung bieten, seine Arbeits- und Führungskultur und seine Visionen stimmig erlebbar machen.
MB: So sehen wir das auch – das Büro als Quelle der Identifikation und der Inspiration.
Ihre Aufgabe ist vielschichtiger, als nur Schreibtisch, Stuhl und Lampe in einen Raum zu stellen. Wie gehen Sie einen Kundenauftrag an?
PI: Schaut man sich die Bilder vieler New-Work-Projekte an, ist kaum ein Schreibtisch zu sehen, sondern Kommunikationsorte und Corporate Restaurants. Daran erkennt man, wie sich das Sehnsuchtsbild Arbeit verändert hat. Für unsere Projekte gibt es nicht die eine Lösung. Am Anfang gilt es, ein tiefes Verständnis für unseren Kunden zu entwickeln. Ein gemeinsamer Workshop hilft dabei ungemein. Und häufig ist ein Ergebnis dieser intensiven Vorarbeit, dass unsere Kunden ihr Unternehmen an anderen Stellen neu organisieren.
Herr Ippolito, in Ihrem Unternehmen arbeiten sie tagtäglich an den Schnittstellen von Architektur, Design und Kommunikation. Worin besteht für Sie der Reiz, mit einem Büromöbelhersteller wie Brunner zu kooperieren?
PI: Grundsätzlich verstehen wir uns immer als Partner auf Augenhöhe. Dabei sind langfristige, vertrauensvolle Beziehungen wie die zu Brunner besonders wertvoll. Brunner ist immer agil und liefert ein regelrechtes Feuerwerk an Ideen und Innovationen.
Und an Sie Herr Brunner: Sie sind mit Ihrem Kerngeschäft, der Entwicklung, Produktion und dem Vertrieb von Büroausstattung erfolgreich. Welchen Mehrwert bietet Ihnen darüber hinaus die Zusammenarbeit mit der Ippolito Fleitz Group?
MB: Ich schätze vor allem, dass durch unseren Austausch die Gefahr gebannt wird, Scheuklappen zu entwickeln. In unserer Partnerschaft weitet sich der Blick, was ich sehr wertvoll finde. Als Agentur ist IFG in innovative Interieur-Konzepte involviert, die besondere Möblierungen und Entwicklungen benötigen. Wir sind in der Lage, höchst individuell zu produzieren. Und aus solchen Maßkonfektionen entstehen manchmal sogar neue Kollektionsstücke.
Was eint sie beide bei dem Gedanken an das Büro der Zukunft?
MB: Die leidenschaftliche Suche nach dem Geheimnis guten Designs.
PI: Das Verständnis, dass das Büro ein Möglichkeitsraum ist. Alles ist immer anders. Es gibt keine Blaupause.
Wie viel Zeit werden Mitarbeiter zukünftig und pandemieunabhängig außerhalb des Büros verbringen?
PI: 60 Prozent Präsenz ist die Zahl, die im Raum steht. Ich halte das für engagiert. Es bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass man einfach linear 40 Prozent Fläche streichen kann. Neues Arbeiten bedarf neuer Arbeitsplatztypologien, in denen der klassische Schreibtisch nur eine von vielen ist. Kommunikations- und Kollaborationszonen werden zukünftig immer mehr Raum einnehmen, während sich der klassische Fokusarbeitsplatz zunehmend auch auf andere Orte wie das Homeoffice, Co-Working oder die Cafeteria verlagert.
MB: ich bin mir sicher, 100 Prozent Homeoffice wird es nicht geben. Die Mitarbeiter wollen das nicht. Bei uns ist zum Beispiel Desk-Sharing – oft aus Gründen der Kostenoptimierung umgesetzt - keine Option. Auch Halbtagskräfte haben ihren eigenen Schreibtisch und somit ihre Heimat im Büro.
PI: Bei uns im Unternehmen haben wir es sehr erfolgreich eingeführt, keinen festen Platz mehr zu haben. Dazu gibt es am Markt inzwischen clevere Lösungen, bei denen der Schreibtisch mich erkennt. Tischhöhe und Licht stellen sich dann automatisch auf mich ein.
Wie arbeiten sie am liebsten?
MB: Am liebsten mit den Menschen im persönlichen Austausch. Mein Schreibtisch ist ein großer Konferenztisch, an dem miteinander diskutiert wird.
PI: Ich bin viel unterwegs. Eigentlich brauche ich meinen Schreibtisch nicht mehr. Er ist nur noch ein Stellplatz für Reminiszenzen wie Familienfotos. Und ein Platz, wo meine Post abgelegt wird. Trotzdem bin am liebsten inmitten meiner Mitarbeiter, wo ich die Schwingungen spüren, reinhören und mitreden kann.