Die Vision: Besser leben
Im „Home Report 2021“ des Frankfurter Zukunftsinstituts benennt Oona Horx-Strathern Trends, die durch die Pandemie aufgekommen sind oder verstärkt werden. Sie ist optimistisch, was das für unsere Wohnungen und Städte bedeutet.
Frau Horx-Strathern, wie haben Sie den ersten Lockdown verbracht, während dessen Sie den „Home Report 2021“ geschrieben haben?
Ich habe in der Zeit den Wohn- und Arbeitsraum mit meinem Mann, meinem Vater und meinen Söhnen geteilt. Eine sehr interessante, geradezu darwinistische Erfahrung, wo sich jeder irgendwo Raum für seine Arbeit gesucht hat. Ich habe mich oft neben der Waschmaschine wiedergefunden. Tatsächlich hat die Situation unsere Familie flexibler und kreativer gemacht hat.
Schon vor der Corona-Pandemie wurde das Arbeiten in den eigenen Wänden immer populärer – wird das jetzt der Normalzustand?
Das Büro ist in der Krise für viele Menschen Teil des Zuhauses geworden, ich nenne diesen Trend „Hoffice“. Für mich impliziert dieser Begriff einen augenzwinkernden Verweis auf das Wort „Hoffnung“. Tatsächlich haben vor der Pandemie 65 Prozent der Berufstätigen in Deutschland nicht von zu Hause aus gearbeitet,
jetzt wünschen sich zwei Drittel der Befragten, auch in Zukunft mehr zu Hause arbeiten zu können. Für viele fiel das Pendeln weg, auch dadurch ist ein neuer Lebensrhythmus mit mehr Freizeit entstanden, und wir alle haben die Erfahrung gemacht, dass die Städte ruhiger waren, die Luft sauberer.
Aber natürlich muss man sich zurückziehen können, um alleine nachzudenken und kreativ zu sein. Manche haben plötzlich auch die ergonomische Ausstattung des Büros vermisst. Das Hoffice wird nur funktionieren, wenn wir es entsprechend einrichten und wir eine gute Work-Life-Family- Balance hinbekommen. In Zukunft werden Architekten Räume eher wieder voneinander abgrenzen, als sie ineinander übergehen zu lassen.
"Ein bisschen wie im Urlaub: Hotels werden zum Vorbild für mehr Komfort."
Was bedeutet der Hoffice-Trend für unsere Städte?
Sicherlich werden einige Bürohäuser umgenutzt und die nahe Umgebung, das eigene Stadtviertel und die Nachbarschaft wichtiger. Anne Hidalgo, die Bürgermeisterin von Paris, hat beispielsweise die Idee, Paris zu einer „15-Minuten-Stadt“ umzuwandeln. Dieses Konzept sieht vor, dass Bürger alle Bedürfnisse – von Wohnen und Arbeiten bis zu Bildung und Freizeit – innerhalb von 15 Minuten mit dem Rad oder zu Fuß von der eigenen Haustür aus erfüllen können. Diese Verringerung des Radius zielt auf eine Verbesserung der Lebensqualität ab.
Tatsächlich nimmt aber auch das Interesse an Immobilien außerhalb der Stadt gerade extrem zu.
Ja, Menschen suchen nach Lebensraum außerhalb voller Städte, deren Schwächen sich in der Pandemie offenbart haben. Ich sehe das als Chance: Wenn eine Stadt leerer wird, können Veränderungen stattfinden, etwa mehr Grünflächen entstehen und der Autoverkehr weiter reduziert werden. Dieser Wandel macht den urbanen Raum lebenswerter, und Menschen werden zurückkehren.
Viele von uns haben noch nie so viel Zeit in ihrem Zuhause verbracht wie in den letzten Monaten und eine ganz neue Beziehung dazu aufgebaut.
Die „Zeitmaschine“ Corona hat eine Auf- und Neubewertung unserer Wohnungen sowohl in physischer als auch emotionaler Hinsicht bewirkt. Hotels sind zum Vorbild für mehr Komfort geworden, und so nenne ich einen weiteren Trend „Home Suite Home“. Ich spiele darauf an, dass der Schlüssel zu einer guten Hotelsuite in ihrer Multifunktionalität liegt.
Also soll man sich das Hotel-Feeling nach Hause holen?
Das Hotel als Design-Vorbild hat die Einrichtungsbranche längst geprägt. Natürlich können wir aus unseren Häusern keine Luxus-Suiten machen, aber dieses Gefühl, dass man sich im Hotel gut versorgt und sicher fühlt, dass man dort arbeiten und entspannen kann, das sollte man auf sein Zuhause übertragen.
„Romancing the Balcony“ nennen Sie einen weiteren Trend. Was meinen Sie damit?
Lange Zeit war der Balkon ein vergessener und vernachlässigter Ort. Aber während des Lockdowns, als Menschen nicht nach draußen durften, war er plötzlich eine Möglichkeit, mit anderen zu interagieren. Auch die Terrasse und der Garten, die privaten Outdoor-Flächen, sorgten dafür, dass die Situation leichter zu ertragen war. Dieser Raum unter freiem Himmel bedeutet ein Stück Freiheit. Ich bin mir sicher, dass die Nachrüstung von Balkonen und die verstärkte Nutzung privater Grünflächen Trends sind, die die Pandemie überdauern werden.
Für das modulare Bauen wird in den kommenden Jahren ein immenser Boom vorausgesagt.
Der Bereich war schon vor der Krise im Aufschwung begriffen, aber sie hat ihn beschleunigt, denn modulares Bauen gilt als schnell, kostengünstig und umweltfreundlich. Wir haben gesehen, wie in zehn Tagen im chinesischen Wuhan ein Krankenhaus mit 1000 Betten errichtet wurde. Und auch in Europa entstanden mobile Sanitätsstationen und Drive- in-Einheiten für Corona-Tests.
Ist das auch die kurzfristige Lösung für erschwinglichen Wohnraum?
Die modulare Bauweise eignet sich nicht nur für beinahe jede Funktion, sie ist auch für Gebäude jeglicher Größe und Form einsetzbar – selbst Hochhäuser oder ganze Stadtviertel werden inzwischen so errichtet. Der Look reicht von eleganten, luxuriösen Designerhäusern bis hin zu dem, was man als „Cargotecture“ bezeichnet. Bei dieser Architektur werden gebrauchte Stahlcontainer für Bauprojekte eingesetzt.
Das Interesse wird also nach Corona nicht abnehmen?
Ich glaube, dass die positiven Erfahrungen große Chancen für die Zukunft des Bauens eröffnen. Modulares Bauen bedeutet schließlich auch, dass man es mit weniger Störungen und Lärm
zu tun hat, da die Hauptfertigung an einem anderen Ort erledigt wird. Auch in Sachen Umwelt punkten Module, da sie wiederaufbereitet, umgenutzt und recycelt werden können.