Interior
Interior

Bunt einrichten: Tipps von Designerin Claude Cartier

Wie schafft man es, ein Wohnzimmer, ein Schlafzimmer oder gar eine ganze Wohnung bunt einzurichten ohne, dass danach alles wild zusammengewürfelt aussieht? Die französische Designerin und Einrichtungsexpertin Claude Cartier verrät AW Architektur & Wohnen am Beispiel ihrer Lyoner Wohnung ihre persönlichen Tricks, wie das gelingen kann. 
Text Tina Schneider-Rading
Datum09.11.2023
©Guillaume Grasset

Ein Werk aus Streifen, Kurven, Farbschraffuren: Zum 40-jährigen Job-Jubiläum schenkte sich Designerin Claude Cartier in Lyon ein Apartment voll verspielter Ästhetik. In ihrem dekorativen Labyrinth aus Showroom, Atelier und Wohnkokon trainiert die Französin ihre Ausdruckskraft und zeigt, wie man mit Farben einrichtet. 

Über Claude Cartier

Designerin Claude Cartier weiß, wie man Wohnräume mit Farben stimmungsvoll einrichtet.

Seit vier Jahrzehnten baut Claude Cartier Wohnbühnen. Sie stattet Büros und Restaurants aus, möbliert Privathäuser von Biarritz bis Lyon. Sie führt ein Studio für Innenarchitektur, eine Boutique und eine eigene Galerie. Ihr Markenzeichen: Farbszenarien voller Energie und Spielfreude. Vor Kurzem hat Cartier 120 Quadratmeter Altbau im Zentrum von Lyon gekauft, ein haussmannsches Schmuckstück zwischen Antiquitätenläden und Galerien. Gemeinsam mit dem Architekten Fabien Louvier gestaltete sie den Grundriss komplett neu. 

1. Bunt einrichten funktioniert nur mit Träumen und Vorstellungskraft

Auf den 120 Quadratmetern ihrer Wohnung schuf Claude Cartier ihren eigenen bunten Wohn(t)raum. Die meisten Durchgänge stehen offen, mit großformatigen Teppichen im Wohn- und Schlafzimmer schafft die Innenarchitektin zusätzliche Farbflächen.

Schon das Entree ist ein Paukenschlag. Im Halbdunkel streckt sich der Schachbrettboden wie eine Zunge bis in den Wohnraum. Behutsam tastet man sich den schmalen Flur entlang, umhüllt von safrangelben Wänden und üppigem Samt. Die Augen brauchen einen Moment, bis sie sich an das Puzzle aus Neonröhren an der Decke gewöhnen. Weit hinten erst, wo sich das Sofa floral in die Kurve legt, dringt Tageslicht durch die hohen Altbaufenster. Dort will man hin, zum Hauptakt dieser Inszenierung. 

„Wer für sich selbst arbeitet, kennt keine Grenzen“, umschreibt sie den rund einjährigen Prozess. „Das Feuer brennt, und man verlässt die eigene Komfortzone. Das Apartment ist mein Labor der Ideen.“ Und die Elemente, mit denen Cartier in den fünf Zimmern ihrer Forschungsstätte hantiert, reagieren heftig miteinander: „Träumen und Vorstellen gehören zur Alchemie jeder Einrichtung. Ich wollte jede Szene in der Wohnung wie in einem Film aufbauen.“

2. Mit Farben in der Wohnung spanungsreiche Kraftfelder erzeugen

Die Schachbrettfliesen und die Bordüre auf dem Teppich (cc-tapis) setzen optische Ankerpunkte in der bunten Farbpalette. Die skulpturale Stehleuchte ist ein expressionistisches Sammlerstück von Pierre Casenove, hinter dem hellblauen Vorhang (Métaphores) verbirgt sich der Fernseher.

Das Stakkato dieser Szenen geht grenzenlos ineinander über, vom Entree ins Wohnzimmer, weiter zur Küche, in den Schlafraum, zurück in den Flur und von dort ins Arbeitszimmer, von den Böden aus Schachbrettfliesen, Fischgrätparkett, knallbunten Teppichen und altem Terrazzo bis zu Decken, über die sich gemalte Sonnenstrahlen ausbreiten oder abgerundete Vertäfelungen ziehen. 

Claude Cartier bezieht alle Seiten des Raumes in ihre Gestaltung ein. Die Farbflächen vibrieren, die Möbel feiern die Kraft der Kurve, etwa das Ledersofa „Tactile“ (Baxter) oder die Beistelltische und Sessel von Uchronia. Der Teppich stammt aus Cartiers Kollektion „So much Fun“ (cc-tapis)

3. Beim Einrichten mit Farben optische Tricks verwenden

Im Flur von Claude Cartier kamen Farben von Ressource Peintures zum Einsatz. An der Wand hängt Wandleuchte „Unseen“ von Petite Friture.

„Meine Freunde sagen oft, dass die Wohnung doppelt so groß wie ihre Fläche aussieht“, sagt die Designerin. Die Farben, Formen und Materialien erzeugen Kraftfelder, zwischen lauter Kabinettstückchen vergisst man Raum und Zeit. „Ich habe früher gerne in Weiß gelebt. Doch Farbe hat sich für mich als unglaubliche Spielwiese herauskristallisiert.“ 

Mit optischen Tricks zaubert Claude Cartier viel Tiefe und hypnotische Muster. Die Wandbemalung an der Stirnseite des Flurs nimmt den Rundbogen auf, die Töne wiederholen sich in der Fotoarbeit von Atelier Ndokette. 

4. Bunte Räume mit Textilien fließend verbinden

In der Essecke bilden die Wandfliesen „Giardino all’Italiana“ von Cristina Celestino ein anregendes Mosaik. Am Tisch „Jupiter“ (Baxter) treffen sich Kurvenstars: eine Samtbank (Gubi), Tobia Scarpas „Pigreco Chairs“ und Sessel „Pastilles“ mit einem Bezug von Métaphores (alles Tacchini), die Hängeleuchte „Moonstone Dome“ ist von Giopato & Coombes.

Mehrfach verbergen oder öffnen bodenlange, geschwungenen Vorhänge zusätzliche Winkel wie die schwarze Bulthaup-Küche hinter dem Flur oder die Fernsehnische im Wohnraum. „Die Textilien sind auch eine Möglichkeit, Räume fließend miteinander zu verbinden.“ 

Cartier steht im Wohnzimmer, die Wellen der drapierten Stores in wässrigem Mintgrün bilden einen sanften Kontrast zu den Wänden und dem großformatigen Op-Art-Teppich. Sie hat ihn kürzlich für das italienische Label cc-tapis entworfen. 

5. Ihn Wohnräumen mit Farbe und Sonnenlicht experimentieren

Die Schachbrettfliesen setzen schon im Eingang ein starkes Statement, die Neonleuchten „Unseen“ von Studiopepe (Petite Friture) bringen die safranfarbenen Wände (Ressource Peintures) zum Strahlen. Ein Samtvorhang in Ocker verbirgt elegant den Zugang zur Küche. Konsole „Eros“ (Agape Casa), Sessel „Sunny“ (Uchronia).

„Ich habe einen Tick“, gesteht sie. „Meine Wohnungen müssen immer in der ersten Etage sein. Also muss ich hier die Illusion von Licht und Sonne erzeugen.“ Den Durchgang zum Schlafzimmer ließ sie Sonnenblumengelb in diagonalen Nuancen streichen: „Das simuliert Lichtschraffuren zu jeder Tageszeit. Und der Kubus mit Aluminiumfolie an der Decke holt noch mehr Sonne nach drinnen.“

6. Ein Farbkonzept für Wohnräume entwickeln

Liebe zum Detail: „Farben sind ein Spiegel meiner Persönlichkeit“, sagt die Dekorateurin und macht jedes Möbel zur Spielwiese ihrer Gestaltungsideen: Die Vase „Aqua Regis“ von Studiopepe (Tacchini) ist ein junger Klassiker auf dem Tisch „Fleur“ (Uchronia).

Streifen, Bögen, Karos, Wellen. Hinter dem scheinbaren Durcheinander verbirgt sich meisterhaftes Kalkül. „Ein zu schneller Schaffensrausch kann Gestaltung kaputt machen“, sagt sie. „Es braucht einen durchdachten Rhythmus, die Details sind wichtig, die Geschichten müssen präzise konstruiert sein. Form und Funktion sollten gleichberechtigt neben- einander existieren“, sagt Claude Cartier. „Ich mag narratives Design: Gestaltung muss eine Geschichte erzählen.“ Das Apartment ist für die Dekorateurin Energielieferant und Ruhepol, Atelier und Showroom für ihre Kundschaft.

Das Gästezimmer wird auch als Arbeitsraum genutzt. Cartier behielt den antiken Terrazzoboden als historisches Detail, ihr Läufer „So Much Fun“ (cc-tapis) klettert hinterm Bett die Wand hoch, flankiert von dynamischen Farbtönen (Ressource Peintures).

Die buttergelben Sonnenstrahlen an der Decke ihres Schlafzimmers sind eine Erinnerung an die Villa Planchart von Gio Ponti in Caracas, für die pudrige Bettdecke ließ sie sich von alten römischen Hotels inspirieren. Natürlich gab es auch für das Gästeschlafzimmer ein durchdachtes Konzept mit aufeinander abgestimmten Farbtönen und Mustern. 

Was käme ihr unter keinen Umständen in die Wohnung? „Ein Objekt oder ein Möbel, das mich langweilt!“, sagt sie und beschreibt das Glück, in einer Familie aufgewachsen zu sein, die offen war für die Kunst: „Meine ersten Begegnungen reichen bis in die Kindheit zurück. Heute geht es für mich darum, neugierig zu bleiben – auf die Natur und auf das künstlerische Schaffen in all seinen Formen.“