Villa mit Meerblick von Architektin Patricia Urquiola
Ein frühherbstlicher Morgen an der Côte d’Azur. Es schüttet wie aus Eimern. Im Vieux Port von Cannes hat man die Möbel auf den Außendecks abgedeckt, die Türen zu den Salons sind geschlossen. Bis auf eine – und hinter der herrscht reger Betrieb. Denn heute wird hier eine doppelte Weltpremiere zelebriert: Die 1958 gegründete italienische Werft Sanlorenzo zeigt erstmals ihre knapp 30 Meter lange SD96. Und Patricia Urquiola, international gefragte Architektin und Designerin, führt durch das erste von ihr gestaltete Yacht-Interior.
Auffällig ist zunächst das Treppenhaus. Es steht frei am Kopfende des Salons. Was andere gern in der Lobby verstecken, ist bei der Spanierin ein Statement, das, mit Travertin-Paneelen und Metallgitter dekoriert, an ein Hummernetz erinnert. Auch die Verkleidungen in den Ecken des Salons enthalten maritime Reminiszenzen: Die runden Eichenstäbe, hinter denen sich die Schränke verbergen, wirken wie ausgewaschenes Treibholz. Dieses Element kehrt immer wieder, unter anderem in der Eigner- und den Gästekabinen.
"Ich wollte auf die Yacht gehen und mich selbst sehen"
Auf der rechten Seite des Salons dachte sich Urquiola eine weitere Lösung aus, die im Yachting ihresgleichen sucht: Der Esstisch für bis zu zehn Gäste lässt sich zusammenklappen und verschwindet komplett in einer lederbespannten Sitzbank vor den fast bodentiefen Scheiben. Das frei stehende Mobiliar stammt vornehmlich aus Urquiolas Tätigkeit für den italienischen Hersteller Cassina; man entdeckt unter anderem das Beam-Sofa oder den Back-Wing-Sessel. Das Parkett hat die Designerin ursprünglich für die Firma Listone Giordano in Miralduolo di Torgiano entworfen. Geändert werden kann an der Einrichtung übrigens fast nichts. Wer eine SD96 mit Urquiola-Design erwerben will, muss sie nahezu so kaufen, wie von der Spanierin ersonnen. Nur die frei stehenden Objekte können getauscht werden. Kommentar der Designerin: „Ich wollte auf die Yacht gehen und mich selbst sehen.“
Eingefädelt wurde die Kooperation der Wahl-Mailänderin mit Sanlorenzo von Piero Lissoni, gleichfalls Design-Ikone, Urquiolas früherer Büropartner und heute Art Director bei Sanlorenzo. Massimo Perotti, Vorstandsvorsitzender der Werft: „Ich wollte einen femininen Touch in der Einrichtung. Und Patricia besitzt die Fähigkeit, Schönheit mit Komfort zu kombinieren.“ Mit derlei Vorschusslorbeeren ausgestattet stieg sie schließlich ein – in ihr erstes Yacht-Projekt.
Das Maritime indes ist kein Neuland für die 58-Jährige. Aufgewachsen in Asturien, erinnert sie sich gut an die bewegte See des Atlantiks. „Mein Vater und seine Freunde fuhren oft zum Fischen hinaus. Wellen waren allgegenwärtig.“ Ein Motiv, das auf dem Wandglas über dem Eignerbett zu sehen ist. „Alle Formen und Farben an Bord sind vom Meer inspiriert. Mein Ziel waren elegante Räume voller natürlicher Töne.“ Blau, Grau und Sand sind genauso präsent wie die helle Eiche an den Wänden und auf dem Boden.
In puncto Grundriss überrascht die SD96 auf dem Hauptdeck zunächst nicht. Die Eignersuite liegt im Bugbereich des Hauptdecks. Die Abtrennung des Schlafzimmers zum Salon wird durch Bad und Galley an Backbord gewährleistet. Ein Deck tiefer installierte Sanlorenzo zwei Gästekabinen, davor jedoch ein für die Yacht-Branche neues Element: Hier befindet sich ein zweiter, kleiner Salon, der als Rückzugsort, Kinderzimmer oder dritte Gästekabine auf dem Unterdeck dienen kann. Im Salonmodus steht der Raum offen, im Kabinenmodus trennt ihn eine Schiebetür vom Treppenhaus ab. Ähnlich flexibel zeigt sich die SD96 auf dem Sonnendeck. Die sonst recht strenge Aufteilung zwischen Skylounge und Achterdeck ließ Patricia Urquiola auflösen. Schiebetüren öffnen den Raum mit zwei Sofas und Coffeetable auf einer, zwei oder drei Seiten – je nach Wetterlage. Die Outdoor-Möbel stammen ebenfalls von Urquiola; die Designerin wählte dafür die Anatra-Kollektion von Janus et Cie.
Für die Gestaltung des Exteriors engagierte Sanlorenzo das Büro Zuccon International Project aus Rom, für die Rumpfkonstruktion den französischen Konstrukteur Philippe Briand. Den Antrieb der SD96 besorgen zwei je 1015 Kilowatt starke Diesel-Motoren von MTU. Sie bringen die 28,93 Meter lange, 7,60 Meter breite und 125 Tonnen schwere Konstruktion auf eine Höchstgeschwindigkeit von 19 Knoten. Bei etwas reduzierterer Fahrweise reichen die 15700 Liter Kraftstoff für rund 1700 Seemeilen. Den Zuschlag für die erste von Patricia Urquiola mitgestaltete Yacht bekam übrigens ein deutscher Eigner. Für rund neun Millionen Euro.