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Reduzierte Lässigkeit: Ein Hausbesuch bei Mazda-Chefdesigner Jo Stenuit

Ein hundertjähriges Eckhaus in Frankfurt am Main hat sich in ein modern-minimalistisches Zuhause verwandelt. Es könnte sich auch in Japan befinden, wo der Designer und leidenschaftliche Sammler Jo Stenuit länger gelebt hat.
Datum26.05.2022
Zurückgenommen | Eine graue Fassade, Verkleidungen mit dunklen Holzlamellen und superschlichte Fenster – das Haus von Jo Stenuit erfüllt nach dem Umbau die ästhetischen Ansprüche des Minimalisten.

„Wir waren naiv in Bezug auf den Aufwand, aber wir haben das Potenzial dieses Hauses gesehen“, sagt Jo Stenuit. Der Automobildesigner und seine Frau kommen aus Belgien, sie haben in Japan gelebt und wollten in Frankfurt ein Zuhause, das ihr Faible für die asiatische Ästhetik widerspiegelt. Bei ihrer Suche stießen sie auf ein Eckgrundstück mit einer Doppelhaushälfte von 1906, die in keinem guten Zustand war. Umso mehr bot sich die Chance, alles neu zu denken und von Grund auf zu verändern. Für die technischen Aspekte beauftragten sie den Architekten Harald Etzemüller und ließen das Gebäude, in dem sich damals drei Wohnungen befanden, erst einmal komplett entkernen. Wo der Eingang war, steht heute der Anbau mit dem Wohnzimmer, dessen große Fenster eine Verbindung zum Garten schaffen. Das alte Treppenhaus ist von dort nicht mehr zu erkennen, es ist mit einer durchgängigen schwarzen Wand kaschiert. Rechts und links davon führen jeweils drei Stufen nach oben und damit auf die Ebene des Erdgeschosses. Auf der einen Seite ist eine Küchenzeile in diese funktionale Wand integriert, auf der anderen Seite ein Gäste-WC. Schiebetüren bilden die Durchgänge zu den ursprünglichen Treppen in den Keller sowie in die beiden Obergeschosse.

Sammlerstücke | Das schwarze Regal, in dem westdeutsche Kunstkeramik in Rot und Orange steht, fungiert zugleich als Wand, die das Treppenhaus von der Küche und dem Esszimmer trennt.

Funktionale Wände

Eine besondere Aufgabe erfüllt die vierte Wand, die das Treppenhaus im Kern des Gebäudes vom offenen Esszimmer trennt – sie ist zum Regal aus- gebaut, das vom Boden bis zur Decke reicht. Darin reihen sich Bücher, alte Kameras und vor allem die orangeroten Modelle von Jo Stenuits großer Vasensammlug aneinander: „Ich habe die erste Vase auf einem Flohmarkt in Wiesbaden gefunden und dann hat sich das verselbstständigt.“ Heute besitzt der Designer eine umfangreiche Kollektion westdeutscher Kunstkeramik, vor allem aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren. Die farblichen Überzüge wirken mitunter so, als würde sich dickflüssige Lava über die Oberflächen ergießen.

Still-Leben | Das Sideboard vom Flohmarkt ist die Basis für den Mix aus westdeutscher Kunstkeramik in Türkistönen mit der farblich passenden Teedose und dem Braun-Kofferradio „T22“ von 1960.

Die ausdrucksstarken Keramiken waren nicht die ersten Liebhaberstücke, die Stenuit zusammentrug: „Mit 13 habe ich angefangen zu sammeln, das war damals ein Radio von meinem Bruder. Dann habe ich mich sehr schnell auf Braun spezialisiert. In meinen Augen hatte niemand so viel Einfluss auf das Design wie Dieter Rams und sein Team. Das wirkt bis heute nach. Der einzige Designer, der meiner Meinung nach da rankommt, ist Stefan Diez. (AW-Designer des Jahres 2022, Anm.d.Red.)“ Mittlerweile hat Jo Stenuit aufgehört, auf Flohmärkten im In- und Ausland oder online nach weiteren Raritäten zu suchen, egal ob Vasen oder Hi-Fi-Geräte: „In unserem Haus ist einfach kein Platz mehr und ich möchte nicht, dass es hier aussieht wie im Museum.“

Ikonentreffen | Stilbewusst arrangiert wurden im Wohnzimmer Keramikvasen, ein legendäres Braun Hi-Fi-Möbel von Dieter Rams („Schneewittchensarg“) und das „PK31“-Sofa von Poul Kjærholm für Fritz Hansen.

Materialien dürfen altern

Während es im Job des Design-Directors von Mazda Europa um Millimeterarbeit geht, herrscht im Zuhause kunstvolle Lässigkeit, denn Perfektion kann eben auch schnell langweilig wirken, finden die Bewohner. Und so sollen der Beton- und Holzfußboden Patina bekommen, die Schindeln am Gartenhaus, auf das man direkt aus dem Wohnzimmer blickt, von Braun zu Grau verwittern. Den Oberflächen der Vintage-Holz- und Polstermöbel soll man ihr Alter ansehen. Was hier mitschwingt, ist das japanische Prinzip des Wabi-Sabi, bei dem die Schönheit eines Objekts auch in dessen Vergänglichkeit liegt.

Qualität und Funktion

Dem Anspruch an eine reduzierte Ästhetik entsprechen in Stenuits Haus viele Produkte aus Dänemark wie etwa die Küche mit den breiten Schubladen und die Fenster mit schlanken Rahmen sowie einige Sideboards. „In Teilen war mir nicht einmal bewusst, dass es sich um dänische Sachen handelt“, so der 53-Jährige. „Am Ende ist es aber so: Sie haben Qualität, sind von großer Schlichtheit und Funktionalität. Ich lege großen Wert auf Handwerk und gute Materialien – genau diese Aspekte erfüllen diese Produkte.“

Durch die Beschränkung auf neutrale Farben entsteht eine ruhige Grundstimmung im Haus. Sie sorgt aber gleichermaßen dafür, dass die Sammlerstücke umso mehr zur Geltung kommen. Ein Gleichgewicht: japanisch-skandinavischer Minimalismus mitten in Frankfurt.