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Kintsugi: Keramik reparieren im japanischen Stil

Die traditionelle japanische Reparatur-Technik fügt zerbrochene Gefäße mit goldfarbenem Lack wieder zusammen. Dabei werden die Bruchkanten wie schimmernde Narben hervorgehoben. Heute gilt die jahrhundertealte Traditon als lebendiger denn je. AW Architektur & Wohnen stellt die Besonderheiten der Kintsugi-Technik vor und stellt eine Schritt für Schritt Anleitung vor.
Text Katharina Hamacher
Datum18.09.2023

Bei Kintsugi geht es um viel mehr als nur darum, ein zerbrochenes Gefäß zu reparieren. Hinter der alten japanischen Tradition stehen Gedanken wie Wertschätzung, Heilung und die Schönheit des Unvollkommenen. Der Lohn der mühevollen Arbeit ist ein ästhetisch ansprechendes Unikat, das als individuelles und stylishes Accessoire alle Blicke auf sich zieht. Kein Wunder, dass sich die Kintsugi-Technik zu einem wahren Trend entwickelt.

Was ist Kintsugi?

Zebrochene Keramik lässt sich mit der japanischen Kintsugi-Technik wieder kunstvoll reparieren.

Die jahrhundertealte japanische Tradition Kintsugi ist eine traditionelle Technik, mit der zerbrochene Keramikstücke repariert werden. Der Begriff bedeutet wörtlich so viel wie "Verbinden mit Gold". Gelegentlich wird die Kintsugi-Methode auch Kintsukuroi genannt.

Im Japanischen tragen die schimmernden Spuren entlang der Bruchlinien den Namen "Keshiki", was übersetzt Landschaft bedeutet.

Mithilfe eines speziellen Lacks werden die einzelnen Scherben wieder zusammengefügt und die Bruchstellen mit Gold, Silber oder Platin veredelt. Fehlende Teile entstehen aus einer besonderen Paste, die ebenfalls mit pulverförmigen Edelmetallen vermischt und in mehreren Schichten aufgetragen wird.

Indem die Linien der zusammengesetzten Einzelstücke mit wertvollem Material vervorgehoben werden, erhält das Keramikstück eine neue Wertigkeit. Statt die Bruchstücke wegzuwerfen, werden die Narben und somit das Unperfekte betont. 

Traditionell angewendet, ist die Kintsugi-Technik sehr aufwendig und teuer. Es gibt inzwischen aber eine Vielzahl moderner Techniken, die auch für Laien mit etwas Übung leicht und verhältnismäßig kostengünstig umzusetzen sind.

Herkunft und Geschichte der japanischen Kintsugi Philosophie

Obwohl Kintsugi und Tee-Zeremonien nicht direkt miteinander verbunden sind, teilen sie bestimmte philosophische und ästhetische Prinzipien, die in der japanischen Kultur tief verwurzelt sind.

Die jahrtausendealte japanische Handwerkstechnik Urushi bildet die Wurzeln der traditionellen Kunstform Kintsugi. Der berühmte Urushi-Lack oder auch Japan-Lack, der aus dem Harz des Lackbaums gewonnen wird, diente ursprünglich dazu, zerbrochene Gefäße zu reparieren.

Das änderte sich mit mit der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert, die in Japan mit einem philosophischen Umdenken verbunden war. Dieser Umbruch ist eng verknüpft mit der Entstehung des ästhetischen Konzepts Wabi Sabi, das sich wiederum am Zen-Buddhismus orientiert und Einfluss auf die bedeutende japanische Tee-Zeremonie hatte.

In diesem neuen Zeitalter ging es nicht mehr um prunkvollen Luxus, sondern vielmehr um die einfache und natürliche Schönheit der Dinge, die oft mit Unvollkommenheit verbunden ist. Genau das betont die Kintsugi-Technik: Sie arbeitet vermeintliche Makel heraus, betont die Vergangenheit der zerbrechlichen Stücke und kreiert somit nicht nur eine neue Ästhetik.

Indem traditionelle Kintsugi-Künstler:innen wertvollen Urushi-Lack und echtes Goldpulver verwenden, werten sie die jeweiligen Stücke auf. Nach Fertigstellung sind die reparierten Keramikgefäße meist wertvoller als vorher.  

Kintsugi: Schritt für Schritt Anleitung & Materialliste

Es gibt verschiedene Methoden, um die traditionelle Kintsugi-Technik anzuwenden. Während japanische Kintsugi-Künstler:innen den sehr teuren Urushi-Lack nutzen, beginnen Anfänger in der Regel mit herkömmlichem Zwei-Komponenten-Kleber auf Epoxidharzbasis, der in jedem Baumarkt erhältlich ist.

Um den Start zu erleichtern, bieten sich fertige Kintsugi-Sets wie dieses von "Japanwelt" an, die alle nötigen Materialien und Werkzeuge beinhalten. Die praktischen Sets sind je nach Anbieter zwischen 15 und 30 Euro zu haben.

Wer sich das Kintsugi-Equipment selbst zusammenstellen möchte, benötigt Folgendes:

Materialliste für Kintsugi-Technik

  • zerbrochenes Keramikgefäß (für Anfänger möglichst nicht mehr als vier Scherben mit klaren Bruchkanten)
  • zweiteiliger Epoxid-Klebstoff
  • Holzstäbchen
  • Pinsel
  • Unterlage für die Arbeitsfläche (altes Schneidebrett aus Kunststoff oder ähnliches)
  • Epoxidharz-Pigment oder Pulver in Gold oder Silber
  • Handschuhe

Zwei ganz wichtige Zutaten für ein ansprechendes Ergebnis sind zudem Zeit und Ruhe. Auch wenn die Technik relativ schnell und unkompliziert zu erlernen ist, sollte man den meditativen Aspekt bei der Anwendung nicht vergessen.

Kintsugi-Anleitung – Schritt für Schritt

  1. Zuerst die Arbeitsfläche vorbereiten und die sauberen und trockenen Bruchstücke so sortieren, dass klar ist, was wohin gehört.
  2. Danach die beiden Epoxidharz-Komponenten (Harz und Härter) mithilfe des Holzstäbchens zu gleichen Teilen vermischen.
  3. Anschließend zügig das goldene Pigment einrühren. Die Mischung trocknet sehr schnell.
  4. Die gleichmäßige Masse mit dem Pinsel auf eine Bruchkante auftragen und die beiden passenden Teile zusammenfügen. Das Auftragen der richtigen Menge ist Gefühlssache und erfordert etwas Übung.
  5. Anschließend direkt den Pinsel mit Verdünnung reinigen.
  6. Nach dem Trocknen jeweils eine weitere Scherbe ankleben. Da der Kleber innerhalb weniger Minuten trocknet, ist es ratsam, für jede Bruchkante eine neue Mischung anzusetzen.
  7. Anschließend das fertige Objekt einige Stunden durchhärten lassen.

Achtung: Da manche Lacke und Kleber die Haut reizen können, sollten bei der Arbeit unbedingt Handschuhe getragen werden. Auch nach Fertigstellung des Kintsugi-Unikats ist Vorsicht geboten: Je nach verwendeten Materialien sind die reparierten Stücke nicht lebensmittelecht und sollten nur als Dekoration verwendet werden.

Wer noch gar keine Erfahrung auf dem Gebiet der kunstvollen Keramik-Reparatur hat, findet in den sozialen Medien zahlreiche Anleitungen und Videos. Darin zeigen oftmals japanische Kintsugi-Künstler:innen Schritt für Schritt das traditionelle Handwerk mit modernen Techniken und Materialien:

Kintsugi in der modernen Welt: Kunst, Design und Lifestyle

Seit einigen Jahren wird die Kintsugi-Kunst auch in der westlichen Welt immer beliebter. Hinter dem Trend steckt mehr als die meditative Wirkung, die sich beim Reparieren zerbrochener Lieblingsstücke entfaltet.

Auch der Gedanke des Upcyclings, der für viele Menschen zu einem bedeutenden Teil ihrer nachhaltigen Lebenseinstellung geworden ist, spielt im Kintsugi eine wichtige Rolle. Schließlich geht es bei der Reparatur-Methode darum, aus etwas Beschädigtem ein neues, nützliches und ästhetisch ansprechendes Objekt zu schaffen.

Neben dem Nachhaltigkeits-Aspekt geht es vielen Hobby-Künstler:innen beim Praktizieren der Kintsugi-Kunst auch um den philosophischen Gedanken hinter dem Zusammenfügen zerbrochener Stücke: Indem man die Scherben wieder zu einem funktionstüchtigen Ganzen zusammensetzt, wird auch die verloren gegangene Harmonie wiederhergestellt – etwas Verletztes wird geheilt.

Das entspricht auch dem ursprünglichen Gedanken der Kintsugi-Technik: Durch die Reparatur und die hervorgehobenen vergoldeten "Narben" verkörpert das fertige Gefäß die Schönheit, die aus der Überwindung von Verlust und Mühsal entsteht. Zudem bringt der Künstler dem Objekt durch die Verwendung kostbarer Materialien eine besondere Wertschätzung entgegen.

Während sich die traditionelle japanische Keramik-Reparatur ursprünglich auf Gefäße wie Tassen, Schalen, Schüsseln oder Vasen beschränkte, ist die Technik inzwischen auch zum modernen Einrichtingstrend geworden. Mittlerweile sind Wohn-Accessoires wie Lampen und Vasen im Kintsugi-Stil erhältlich. Bei manchen Anbietern durchziehen die charakteristischen goldenen Adern sogar Böden und Wände.

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Buchtipps zu Kintsugi

Wer sich ausführlicher mit der Geschichte der japanischen Keramik-Reparaturmethode Kintsugi beschäftigen möchte, dem bieten Ratgeber wie "Kintsugi, The Poetic Mend" (Anzeige*) eine detaillierte Einführung in das traditionelle japanische Handwerk des frühen 16. Jahrhunderts bis in unsere Zeiten. 

Der englischsprachige Ratgeber "A Beginner's Guide to Kintsugi: The Japanese Art of Repairing Pottery and Glass" (Anzeige*) vermittelt die traditionellen japanischen Techniken der Töpfer- und Glasreparatur Kintsugi.

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