In Falten gelegt: Design aus Papier
Das Interesse an Nachhaltigkeit: Produkte aus Papier
Wussten Sie, dass Papier sich aus Apfel- und Zitronenschalen fertigen lässt? Und aus Hanf, Stroh, Lumpen und – natürlich – Holz. Seit der ersten Beschreibung des Herstellungsprozesses von Papier durch den chinesischen Beamten Cai Lun um 105 n. Chr. hat sich an den verwendbaren Rohstoffen nichts geändert. Ursprünglich fürs Schreiben entwickelt, ist Papier in seiner Vielfalt längst mehr als bloßer Informationsträger. Mit der verstärkten Diskussion um Nachhaltigkeit und natürliche Materialien nimmt das Interesse an Produkten aus Papier weiter zu.
Das Revival der Tapete
Von der Decke bis zum Boden, vom Fenster bis zur Tür gibt es kaum einen Bereich im Haus, der sich nicht mit Papier gestalten lässt. Raumteiler, Sitzmöbel, Leuchten, Vasen – die Gestaltungsexperimente der Designer gehen in viele Richtungen. Ein kleines Revival erleben expressive Tapeten. Üppige Farbkombinationen und großzügige Muster liegen bei Interieur-Experten im Trend. Gekonnt eingesetzt machen sie die Wände zu attraktiven Kulissen und den Raum zur Bühne; wenn man ein Faible für asiatische Handwerkstraditionen hat, kann man den Raum mit japanischen Shoji-Wänden kontemplativ strukturieren.
Zickzack ist gleich Stabilität
Bei der Möblierung denken ad hoc wohl nur wenige an den Einsatz von Papier. Umso größer ist die Überraschung, wenn sich plötzlich eine papierne Sitzgelegenheit wie ein blauer Lindwurm durch den Wohnraum schlängelt. Das kanadische Unternehmen Molo hat das kuriose Etwas aus einer robusten Papierstruktur geschaffen. Ob in quadratischem oder ovalem Querschnitt entscheidet bei der Konstruktion die persönliche Vorliebe, wichtig für die Funktion ist das Ziehharmonika-Prinzip. Mit der Zickzack-Faltung erhält das Papier eine verblüffende Steifheit, die die Sessel, Poufs oder auch mäandernde Raumteiler erst möglich macht.
Papierlaternen für mehr Romantik
Manch einer kennt das vorteilhafte Prinzip der Faltung noch aus der Kindheit, als aus transluzentem Papier bunte Martinslaternen gebastelt wurden. Schon seit Jahrhunderten sorgen in gleicher Weise gefertigte Lampions drinnen wie draußen für Atmosphäre – bei der gegenwärtigen Sehnsucht nach mehr Romantik stehen stimmungsvolle Lichtquellen wieder hoch im Kurs. Angelehnt an die Formensprache japanischer Leuchten, greift die Marke Le Klint mit "Bee Hive" diesen Trend auf. Ein minimalistisches Gestell aus Eichenholz hält handgefaltete Papiere, mit Leichtigkeit stellt sich der auch stilistisch nachhaltige Entwurf gegen modische Beliebigkeit. Dass Zeitlosigkeit durchaus mit Spielerischem zusammengeht, hat Isamu Noguchi schon 1951 mit seinen „Akari Light Sculptures“ bewiesen. Virtuos variierte der amerikanisch-japanische Gestalter Papierlaternen in ihrer Form. Über die Jahre schuf er mehr als 100 Modelle, von denen eine Auswahl bis heute in aufwendiger Handarbeit in Gifu, Japan, gefertigt wird.
Erschöpft sind die Interpretationen von Leuchten aus Papier selbst mit einem solch überwältigenden Œuvre noch nicht. Auch bei der aktuellen Tischleuchte „Kurage“ des italienischen Herstellers Foscarini kommt Washi-Papier zum Einsatz. Der kooperative Entwurf des Designstudios Nendo mit Luca Nichetto schließt mit seiner weichen Form mühelos an den Zeitgeist an. Mit den sichtbaren Fasern und den rohen Kanten des Papiers verweist das Design auf den ursprünglich handwerklichen Herstellungsprozess.
Papiergarn ohne Drahtseele
Wie locker aus groben Leinenschnüren gestrickt wirkt der Vorhang „Seaborn“ von Woodnotes, doch in der Tat ist das luftige Gewebe aus zu Garn verdrehtem Papier gefertigt. Das robuste Material mit der rauen Haptik findet auch bei Teppichen Verwendung. Anders als bei den bekannten Lloyd-Loom-Möbeln kommt das Papiergarn bei Woodnotes jedoch ohne Drahtseele aus.
Die kartonförmige Sitzgelegenheit
In der Fläche stabiler wird Papier erst als Pappe: Als mehrlagiges Papiersandwich angelegt, bringt Pappe den Vorteil größerer mechanischer Belastbarkeit mit. Aus zugeschnittener Wellpappe faltete der deutsche Designer Peter Raacke 1968 den praktischen Sessel „Otto“. Was simpel klingt, war eine gestalterische Revolution in gesellschaftlich stürmischen Zeiten: ein Material, funktional in Form gebracht, radikal für den Verbrauch bestimmt. Gesteckte und gefaltete Pappobjekte werden seitdem vielfach eingesetzt. Leicht transportabel und problemlos im Aufbau, haben sich für Events beispielsweise einfache Papphocker bewährt. Die kartonförmigen Sitzgelegenheiten lassen sich mühelos im Raum bewegen, leicht wieder demontieren oder bei Beschädigung sortenrein in den Recycling-Kreislauf überführen.
Nachhaltigkeit beim Bett
Das Thema Nachhaltigkeit macht sich auch das Label „Room in a Box“ zu eigen. Dessen modular aufgebautes „Bett 2.0“ ist zu 100 Prozent recycelbar, auch weil die eingesetzten Klebstoffe auf Maisstärke basieren und die verwendeten Farben lösungsmittelfrei sind. Die flexible Rautenstruktur des Betts sorgt für Stabilität und ausreichende Belüftung der direkt aufliegenden Matratze; die Größe der Liegefläche kann durch Verschieben der Rauten einfach angepasst werden.
Wider den Standard
Eine Spur von Ready-made wohnt der „Carta Collection“ inne. Inspiriert von Transportröhren für Zeichnungen, hat der Architekt Shigeru Ban für Wb form eine kleine Möbelserie entworfen, bei der die robusten Pappröhren als Nutzfläche dienen. Während der Japaner die Röhren schwungvoll über Tragelemente aus leichtem Birkenholz führt, interpretierte Architektenkollege Frank O. Gehry 1972 den Gebrauch von Wellpappe um. Bei dem „Wiggle Side Chair“ und dem „Wiggle Stool“ für Vitra wird die innere Struktur der Pappe als gestalterisches Element hervorgehoben. Gehry schichtet die Pappe zum Block, der, in Form geschnitten, die ursprünglichen Kanten der Wellpappe als Sitzfläche nutzt.
Ob aus recyceltem Altpapier gefertigt, aus besonderen pflanzlichen Fasern gewonnen oder zu Pappe weiterverarbeitet – Papier fordert in seiner wunderbaren Vielfalt Künstler, Architekten und Designer immer wieder zu grenzüberschreitenden Experimenten heraus.