Gutes Design ist nachhaltig
Schnelle Wegwerf-Möbel haben ausgedient, Verantwortung ist angesagt. Nur eine Gestaltung und Herstellung, die auf Dauer angelegt sind, haben heute noch eine Berechtigung.
Die Sechziger Jahre waren die Ära visionärer Zukunftsträume. Man wollte den Mond besuchen (das hat geklappt) und den Mars besiedeln (dazu hat heute kaum mehr jemand Lust, von Elon Musk vielleicht abgesehen). Man wollte mit Überschallgeschwindigkeit fliegen (das wurde zu teuer) und Autos sollten sich in die Lüfte erheben (den Traum träumen manche Leute heute noch). Ganz viele dieser Utopien hingen eng zusammen mit neuentwickelten Materialien – Kunststoffen, die versprachen ewig zu halten, beliebig formbar und ausgesprochen billig zu sein. Die Kunststoffe haben ihr Ewigkeitsversprechen zwar gehalten (ein Meer voller Plastik beweist das leider), aber in der Welt des hochwertigen Designs sind sie im Abseits gelandet.
Mit dem wachsenden ökologischen Bewusstsein der Konsumenten ist auch die Nachfrage nach in jedem Sinn nachhaltigem Design gestiegen. Verantwortungsbewusste Hersteller, die auf sich halten und in die Zukunft schauen, setzen voll auf Nachhaltigkeit – und stehen damit voll in der Tradition des Bauhauses, das Nachhaltigkeit schon vor hundert Jahren auf seine Fahnen geschrieben hatte.
Das beginnt bei nachhaltigen Materialien, geht über nachhaltige Produktionsprozesse und Cradle-to-cradle-Entwürfe oder Messestand-Einrichtungen bis hin zur grundsätzlichen Erkenntnis, dass gutes, zeitloses, trendbefreites Design, per se schon deswegen nachhaltig ist, weil man sich die Objekte viele Jahre mit Begeisterung ansehen kann.
Langlebigkeit ist per se nachhaltig
Die anhaltende Beliebtheit des Bauhaus oder skandinavischer und amerikanischer Mid-Century-Entwürfe ist wahrscheinlich das Nachhaltigste, was das Design je hervorgebracht hat. Selbst wenn im einen oder anderen Fall dafür Teakholz genutzt wurde, ist der langfristige ökologische Effekt vermutlich deutlich größer als bei der Nutzung von biozertifizierten Spanplattenmöbeln, die nach zwei Jahren im Sperrmüll landen.
Naturholz boomt
Die ökologische Sinnhaftigkeit, zur Möbelproduktion nachhaltige Materialien zu verwenden, hat in den letzten Jahren zu einem Boom exklusiver Naturholzmöbel geführt. Unternehmen wie e15, Janua oder Zeitraum setzen auf die Ästhetik und Sinnlichkeit von Naturholz – und haben damit großen Erfolg. 30, 40 Jahre nach der rustikalen Kiefernholz-Ära beherrscht Holz heute wieder die Wohnzimmer. Minimalistisch, klar und reduziert designt, tritt bei Esstischen, Kommoden oder Sideboards die Haptik des Materials in den Vordergrund. Und das gute Öko-Gewissen freut sich.
Material plus Design plus Handwerk
Freuen kann sich darüber auch ein Traditionshersteller wie Thonet. Dessen einst revolutionäre Bugholz-Möbel aus in Form gedämpfter Buche waren zwar nie out, sind aber jetzt erst recht wieder in. Das Unternehmen aus dem hessischen Frankenberg hat die Chance genutzt und in den letzten Jahren immer wieder neue Entwürfe vorgestellt. Bestes Beispiel: Der zuletzt auf der Kölner Möbelmesse vorgestellte Polsterstuhl 520 von Marco Dessí, der das nachhaltige Material Holz mit gelungenem Design und handwerklicher Fertigung verbindet.
Stolz auf Holz
Nie weg, aber auch lange nicht so präsent wie derzeit, war der Schweizer Hersteller Horgenglarus mit seinen für die Ewigkeit gemachten klassischen Stühlen wie dem "moser" von Werner Max Moser von 1931. Auch bei den Eidgenossen hat der Stolz auf das exquisite Naturmaterial Holz und die feine Handarbeit eine große Selbstverständlichkeit. Hier wird nachhaltiges Design par excellence gelebt.
Holz aus dem eigenen Wald
Ähnlich sorgsam wie Horgenglarus gehen auch die Schweizer Konkurrenten Girsberger oder Röthlisberger. mit ihrem Holz um. Girsberger etwa leistet sich einen eigenen "Baumflüsterer", einen Forstingenieur, der nichts anders tut, als in Europas Wäldern, die besten Bäume für die Produktion auszuwählen. 5000 Stück im Jahr. Das Familienunternehmen Team 7 zählt zu den Pionieren, wenn es um Nachhaltigkeit geht. Die Österreicher produzieren Naturmöbel, deren Holz aus einem eigenen, 74 Hektar großen Wald stammt.
Weg von der Stubn-Gemütlichkeit
Aber es reicht ja nicht aus, statt Plastik Holz zu verwenden, das, schlecht verarbeitet, nach wenigen Jahren auf dem Wertstoffhof landet. Zum Material kommen Verarbeitungsqualität und gutes Design, die für Langlebigkeit sorgen – aber auch ihren Preis haben. Und da darf man auch nicht immer nur in die gute alte Zeit schielen, da braucht es auch zeitgemäße, moderne Formen, wie sie etwa Röthlisberger immer wieder hervorbringt. Das hat nichts mit Zirbelstuben-Gemütlichkeit zu tun, sondern ist auch ästhetisch state of the art. Ganz auf gut designtes Holz setzt auch der Frankfurter Philipp Mainzer mit e15. Der Mann, der einst dem Backenzahn-Hocker zu internationalem Fame verhalf, präsentiert immer wieder radikal-puristische Entwürfe wie den aktuellen Houdini-Stuhl.
Nachhaltigkeit erleben
Mainzer setzt in seiner gesamten Produktion konsequent auf Nachhaltigkeit. Unübertroffen in seiner Radikalität allerdings dürfte Nils Holger Moormann sein. Der mitunter etwas bärbeißige Schwabe lebt kompromisslose Nachhaltigkeit. Zu sehen nicht nur in seinen Entwürfen wie dem Bett "Tagedieb" oder der "Kampenwand-Bank", sondern auch in seinem Gästehaus berge in Aschau im Chiemgau. Hier hat Moormann seine Vorstellung von nachhaltiger Gestaltung bis ins letzte Detail umgesetzt und physisch erlebbar gemacht.
Experimente mit alternativen Materialien
Wer an Nachhaltigkeit im Design denkt, fokussiert sich schnell auf Holz als Werkstoff. Und vernachlässigt dabei die vielen Ansätze, auch aus anderen, meist recycelten Stoffen Möbel herzustellen. Schnellwachsende Bambus wird als Holzalternative genauso ausprobiert wie kunststoffverstärktes Papier als lederartiger Bezugsstoff. Flechtwerk aus Rattan, Weide oder Bambus bringt Wintergarten-Feeling ins Haus. Bei dem von Nendo für Fritz Hansen beispielsweise entworfenen N02-10 Recycle Stuhl besteht die Sitzschale zu 100 Prozent aus recycelten Haushaltsabfällen, die in Zentraleuropa gesammelt, verarbeitet und upcycelt wurden. Der Stuhl selbst ist natürlich später auch wieder recyclebar.
Müll vermeiden
Circular Design ist ein großes, wichtiges Thema der Einrichtungsbranche geworden. Wer nachhaltig produziert – und das beinhaltet natürlich auch die Prozesse bis hin zur Verwendung von Ökostrom, Abwassermanagement oder Verpackungen – denkt von vorneherein auch daran, was später einmal mit dem Produkt passieren wird. Es geht darum, sozial verantwortungsvoll zu produzieren und Abfall gar nicht erst entstehen zu lassen.
Aus Abfällen wird Design
Allenthalben wird mit der Nutzung von Abfallstoffen experimentiert. Kartell stellte 2019 mit dem Stuhl A.I. von Philippe Starck einen Stuhl vor, dessen Design mithilfe von künstlicher Intelligenz entwickelt wurde und der ganz aus thermoplastischem Recyclingmaterial besteht. Gesammelte Industriereste erhalten in Form des spritzgegossenen Stuhls ein neues Leben. Die dänischen Designer Nanna und Jørgen Ditzel haben für Mater Design die Ocean Collection entworfen: Stühle, die aus Plastikmüll aus dem Ozean hergestellt werden. Rund 960 Gramm Müll werden für die Herstellung eines Stuhls verwendet.
Anderswo werden PET-Flaschen zur Herstellung etwa von Outdoor-Teppichen verwendet, Mais-Hülsen als Furniermaterial, Palmblätter als Lederersatz und Kaffeesatz oder Tabakabfälle für Leuchten. Und Emeco hat eine Edition seines legendären Navy Chairs aus je 111 recycelten Cola-Flaschen aufgelegt. Nachhaltigkeit als letzte Konsequenz des ikonischen Konsumprodukts Coca-Cola.