Dänemarks Geheimtipp: Ein Tag in Aarhus
Vom Blindenhund unter dem Regenbogen
Auf dem Rasenstreifen vor dem Kunstmuseum „Aros“ steht ein heller Labrador mit starrem Geschirr, wie es Blindenhunde tragen. Allein. Autofahrer auf der Vesterallé stoppen und verursachen ein leichtes Verkehrschaos, Passanten schauen sich nach dem hilflosen blinden Hundeführer um. Den gibt es aber gar nicht. Und der Hund ist auch nicht echt. Er ist eine Skulptur des amerikanischen Künstlers Tony Matelli, mit dem das Museum – offensichtlich erfolgreich – auf seine aktuelle Ausstellung aufmerksam machen will. Also kein Grund zur Beunruhigung. Höchstens weil die bemalte Bronzeskulptur für jeden zugänglich auf der Wiese steht. Aber ihr passiert nichts: keine Beschädigung, keine Sprayer-Attacke. So etwas geht wohl nur in Dänemark gut. Auf jeden Fall in Aarhus.
Über Aarhus
Aarhus ist die zweitgrößte Stadt Dänemarks, die größte Jütlands (des Festlands), dort auf halber Höhe ganz rechts gelegen, also an der Ostseeküste. Zweitgrößte Stadt Dänemarks will erst mal nicht viel heißen: Aarhus hat 250 000 Einwohner, etwa so viele wie Braunschweig. Aber Aarhus wirkt deutlich größer, urbaner, als seine Einwohnerzahl vermuten lässt. Dabei geht es hier entspannt zu (nur auf die unzähligen ziemlich zügigen Radfahrer sollte man achtgeben). Es muss an den nicht nur im nationalen Vergleich bemerkenswerten Einrichtungen liegen, die der Stadt ihr großstädtisches Flair geben. Allen voran natürlich der Besuchermagnet „Aros“, dessen Ausstellungen und dessen ständige Sammlung mit Werken moderner und zeitgenössischer, vor allem dänischer Künstler es nicht leicht haben, sich gegen die Hauptattraktion zu behaupten.
Auf dem Dach des wuchtig geratenen Kubus aus rotem Backstein hat der dänische Künstlerstar Olafur Eliasson das „Rainbow Panorama“ installiert, einen nach innen und außen verglasten Rundgang mit Scheiben, die nacheinander in den Farben des Regenbogens getönt sind und so einen speziellen, immer anderen Blick auf die Hafenstadt bieten. Diese weithin sichtbare bunte Krone wurde zum neuen Wahrzeichen.
Aarhuser Baugeschichte
Von ihr schaut man herunter auf eine der Ikonen der Aarhuser Baugeschichte, das 1941 eingeweihte Rathaus, entworfen vom Großmeister moderner dänischer Architektur, Arne Jacobsen, in Zusammenarbeit mit dem in Aarhus ansässigen Erik Møller. Einzigartig ist der charakteristische, 60 Meter hohe, von einem Betongitter umschlossene Glockenturm mit zwei sieben Meter durchmessenden Turmuhren. Zahlreiche Details zeugen von der Gestaltungslust Jacobsens, etwa der von dünnen Stelzen getragene, kupferne Baldachin über dem Haupteingang, der an eine gerüschte Bedachung eines in die Jahre gekommenen Hotel-Entrees erinnert.
Trotzdem ist Arne Jacobsen in Aarhus ausnahmsweise nicht für den eindrucksvollsten Architekturentwurf verantwortlich, sondern ein Namensvetter seines hiesigen Partners, der Architekt Christian Frederik (C. F.) Møller. Der gewann 1931 den Wettbewerb für den Bau der zahlreichen Universitätsgebäude, die um einen nördlich des Zentrums gelegenen See gruppiert werden sollten. Mit seinen Projektpartnern Kay Fisker, Povl Stegmann und dem Landschaftsarchitekten Carl Theodor Sørensen schuf er ein durchdachtes und idyllisches, durchgehend gelb geklinkertes Ensemble von Fakultätsgebäuden und Studentenwohnheimen um einen großzügig angelegten Park herum.
Aarhus während des Krieges
Während der Besetzung Dänemarks im Zweiten Weltkrieg quartierte sich die Gestapo in zwei Studentenwohnheimen ein. Weil die Architekten befürchteten, das gleiche Schicksal drohe auch dem noch nicht errichteten Hauptgebäude, zögerten sie dessen Fertigstellung hinaus. C. F. Møller erinnerte sich später, dass vor allem die imposante, einem Kirchenschiff nachempfundene Aula davon profitierte. In immer neuen Plänen wurden ausgefeilte Details entworfen, wie die gemusterten Ziegelmauern und die mit Kuhfell bezogenen Bänke entlang der Wände.
Das Szene-Viertel
Wenn sich die Studenten einmal aus dieser Idylle herauswagen, sind sie am ehesten im sogenannten „Latin Quarter“, einem der ältesten erhaltenen Teile der Stadt nördlich des Doms und des reich verzierten Theaters, anzutreffen. Hier tummeln sich verteilt auf wenige Straßenzüge in bunten Häuserreihen Cafés (wie das gerade eröffnete, geschmackvoll eingerichtete und beschallte „La Cabra“), Bars, Bistros (sehr beliebt: „Café Englen“), Antikläden, Galerien (die klitzekleine „Lunchmoney“ für zeitgenössische Kunst) und immerhin zwei Kunstakademien.
Sehenswürdigkeit Godsbanen
Neuste Attraktion ist der stillgelegte Güterbahnhof „Godsbanen“ hinter dem „Aros“. Der mit dramatisch aufragenden Betonwänden und Decken erweiterte alte Güterumschlagplatz beherbergt jetzt Kinos, Theater, Künstlerateliers – und eine verführerisch duftende Mensa für jedermann, die auch bei den älteren Damen und Herren aus der Nachbarschaft beliebt ist. Die Kantine ist so etwas wie die Quintessenz dieser Stadt: Menschen verschiedener Generationen, Herkunft und Ambitionen verbringen ihre Zeit entspannt und gut gelaunt miteinander.