Architektur
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„Drawing as Thought“: Steven Holls innovative Architekturzeichnungen in Berlin

Gibt es einen Tag, an dem Steven Holl nicht zeichnet? Seine Aquarellfarben und der kleine Block im handlichen Format begleiten den US-amerikanische Architekten auf all seinen Reisen, auch nach Berlin. 
Text Jeanette Kunsmann
Datum18.02.2025

Das erwartet Sie hier:

Vor Eröffnung seiner ersten Ausstellung in der Berliner Tchoban Foundation verrät Steven Holl im Interview, wie seine Karriere 1988 mit einem gewonnenen Wettbewerb in Berlin begann, wieso er nicht gebaut wurde – und warum ihn der Pritzker-Preis gar nicht interessiert.

Routinen helfen. Steven Holl steht morgens in aller Frühe auf, um neue Entwürfe zu zeichnen und seine Ideen zu Papier zu bringen. Dafür braucht er die pure Ruhe, die es nur gibt, bevor alle anderen wach werden. An manchen Tagen bedeutet das für den Architekten, zu zeichnen, bevor die Sonne aufgeht. Er lächelt, wenn er davon erzählt. Zeichnen ist denken mit der Hand.

Skizze des Rhinebeck Ex of In House: Eine architektonische Erkundung von Transparenz und Raum, die Innen und Außen miteinander verschmelzen lässt.

Aufforderung zum Denken

In Berlin gibt der US-amerikanische Architekt gerade in der Tchoban Foundation einen Einblick in ausgewählte Arbeiten. Kuratiert von Kristin Feireiss finden sich in den Schatzkammern des Museums für Architekturzeichnung auf zwei Etagen verschiedenste Originalzeichnungen und Aquarelle von realisierten und nicht gebauten Entwürfen: Starke Linien treffen auf expressionistische Architektur, Farbe begegnet den Formen des Dekonstruktivismus. Holl geht es um die Wirklichkeit eines Raumes und die Energie seiner Aquarelle. Der Architekt wünscht sich, dass jede seiner Zeichnungen für sich selbst entdeckt werden kann.

Im ersten Obergeschoss hängen Holls Schwarz-Weiß-Zeichnungen mit dem berühmten Entwurf für die Erweiterung der Amerika Gedenkbibliothek von 1988: bestens positioniert, dass man beim Betreten gerade darauf zu läuft. Für die Ausstellung „Drawing as Thought“ hat Kristin Feireiss herausragende Kulturbauten von Steven Holl Architects ausgewählt: Konzerthäuser, Bibliotheken, Kunstzentren und Sonderprojekte wie das Maggie´s Centre Barts in London, das Steven Holl 2017 für seinen einst liebsten Gegenspieler der Postmoderne: Charles Jencks (1939–2019) gebaut hat. Die zweite Etage präsentiert ausgesuchte Aquarelle, darunter farbige Skizzen für das persönliche Refugium des Architekten im idyllischen Rhinebeck und einen kurzen Dokumentarfilm, der in Steven Holls Atelier einlädt. Das Rhinebeck-Projekt ist für Steven Holl der Ort, „an dem Ideen geboren werden“.

Steven Holl im Interview

Steven Holl, ‚Drawing as Though‘: Eine Ausstellung, die seine künstlerische Auseinandersetzung mit Raum und Licht durch expressive Architekturzeichnungen zeigt.

Sie sind gestern in Berlin gelandet und haben ihre Ausstellung in der Tchoban Foundation zum ersten Mal gesehen. Was war ihr erster Gedanke?
Steven Holl: Kristin (Feireiss, Anm. d. Red.) hat wirklich einen fantastischen Job gemacht! Ich freue mich sehr über diese Ausstellung. Sie bringt mich dahin zurück, Architektur auf die Ebene des Denkens zu heben: Etwas, das ich als junger Architekt immer angestrebt habe.

Es ist eine besondere Architekturausstellung, die sicher für viele, vor allem für die junge Generation, ein Appell sein dürfte, dass Architektur nicht unbedingt am Computer entstehen muss. 
Das ist das große Problem, wenn ArchitektInnen mit „cut & paste“ arbeiten und dabei im Grunde gar nicht mehr nachdenken. Das ist digitales Design ohne Denken. Eine Idee kommt aus den Synapsen Ihres Gehirns, das viel komplexer ist als ein einzelner Computer. So entsteht die Möglichkeit, aus der Intuition mit den ersten Zeichnungen ein Projekt zu entwerfen. Für mich ist wichtig, daran zu erinnern – besonders jetzt, wo es so einfach ist, nicht zu denken…

Wie werden digitale Werkzeuge und KI Ihrer Meinung nach die Architekturbranche und die Arbeitsmethoden verändern?
Ich denke, dass sich der Beruf in den letzten 20 Jahren bereits drastisch verändert hat. Und ich glaube nicht, dass es ein Nachteil ist, denn wir können Dinge herstellen, die wir früher nicht herstellen konnten. Für den Lewis Arts Complex der Princeton University zum Beispiel wurde das gesamte Mauerwerk mit CNC-Maschinen geschnitten. Es gibt also eine Menge positiver Aspekte, die bereits vorhanden sind. Meine Position ist, dass der Denkprozess entscheidend ist. Ich beginne den Entwurfsprozess mit dem Verstand und meiner Intuition. Wir nutzen aber auch alle digitalen Werkzeuge.

„First we take Manhattan, than we take Berlin“: Welche Verbindung spüren Sie heute zur Stadt Berlin – einem Ort, an dem ihr Entwurf für die Erweiterung der Amerika Gedenkbibliothek als zentrales Projekt nicht realisiert werden konnte?
Zu dem Wettbewerb waren nur die besten amerikanischen Architekturbüros eingeladen und wir waren dabei! Als junges Büro stürzten wir uns in das Projekt: Wir blieben bis spät in die Nacht und an den Wochenenden auf, spielten Leonard Cohen und waren begeistert davon, an diesem Wettbewerb zu arbeiten. Im November 1988 ruft mich Hans Kollhof an und sagt: „Steven, du hast den Wettbewerb gewonnen!“ Alles war sehr aufregend, bis zur überraschenden Ankündigung des damaligen Bausenators Wolfgang Nagel, der unseren Siegerentwurf nicht bauen wollte. Es folgte ein zweiter Wettbewerb, dann der Mauerfall, nun ja … wir konnten unseren Entwurf damals in einer Ausstellung bei Aedes präsentieren. Ein Grund, warum wir 1992 zu einem Wettbewerb in Helsinki eingeladen wurden, den wir auch gewonnen haben. Und gebaut: Das KIASMA Museum of Contemporary Art in Helsinki ist jetzt 27 Jahre alt und auch in der Ausstellung zu sehen. Berlin war also sozusagen der Startschuss für meine Karriere.

Wie kommt es eigentlich, dass Sie noch nicht mit dem Pritzker-Preis ausgezeichnet wurden?
Ich werde Ihnen etwas verraten: Ich weiß, dass ich drei Mal in der Endrunde war. Aber ich will den Pritzker-Preis gar nicht bekommen.

Warum das?
Sobald ich diesen Preis bekommen würde, wäre nichts mehr übrig. Und nebenbei bemerkt: Es ist der Preis einer Hotelkette… Also für mich ist es wirklich gut, so wie es ist. Sie wissen, dass ich jeden anderen Preis erhalten habe, darunter die AIA-Goldmedaille vom American Institute of Architects und den Premium Imperiale der Japan Art Association. Der Premium Imperiale hat für mich eine sehr große Bedeutung, denn dieser Preis richtet sich an die gesamte Kunst: Skulptur, Malerei, Musik. Ich wurde 2014 zusammen mit dem estnischen Komponisten Arvo Pärt ausgezeichnet und wir haben drei gemeinsame Tage in Tokio verbracht: Das war wunderbar!

Vielen Dank für das Gespräch!

Die Ausstellung „Steven Holl – Drawing as Thought“ ist noch bis zum 4. Mai 2025 (Mo bis Fr: 14–19 Uhr ; Sa & So: 13–17 Uhr) in der Tchoban Foundation. Museum für Architekturzeichnung, Christinenstraße 18a, 10119 Berlin, zu sehen. Der Katalog zur Ausstellung kostet 29 Euro.

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