Pompeji von oben: Ein Bildband präsentiert die antiken Ruinen aus einer ganz besonderen Perspektive
In den vielen Snackbars und den kleinen Gar- küchen in den Gassen werden Gerichte aus Erbsen, Bohnen und Linsen angeboten, aus den Bäckereien duftet es nach frisch gebackenem Brot, auf dem Forum Romanum überlagern sich öf- fentliches, politisches und wirtschaftliches Leben wie heute auf Social Media, als sich am Mittag eine ungewöhnliche Wolke am Himmel zeigt. Vermutlich scheint die Sonne über dem Golf von Neapel am 24. Oktober des Jahres 79 n. Chr. An diesem einen Tag, der alles verändern wird. Es regnet erst Bimsstein, dann Asche – der Rest ist Geschichte.
Hans Georg Esch hat schon viele Metropolen und Skylines dieser Welt besichtigt, um sie aus einer einzigartigen architektonischen Perspek- tive zu porträtieren: darunter New York, Dubai, Shanghai und die Wüstenstadt Shibam im Jemen. Seit 1987 schafft er möglichst lebendige Abbilder von Gebäuden, immer mit der Faszination für die Geschichte, Bauten in verschiedenen Kulturen und dafür, wie Menschen über Architektur ihre Identität entwickeln. Vor zwei Jahren verschlägt es den Architekturfotografen aus dem rheinromantischen Hennef (NRW) nach Pompeji – ein Ort, der einst Goethe, aber auch Architekturgrößen wie Le Corbusier begeisterte. Auch Esch ist bei seinem ersten Besuch beeindruckt. „Das musst du JETZT fotografieren“, denkt er sich. Die Idealstadt der Antike ist für ihn kein Blick in die Vergangenheit, sondern ein Ausblick in die Zukunft.
"Viele Grundsätze, die in Pompeji verwirklicht wurden, haben wir leider vergessen."
Grüne Ruinen der Gegenwart
„Pompeji hat Präsenz, Pompeji lebt“, das verdeutlicht HGEsch auch in seinen Bildern, die von 2022 bis 2024 entstehen. Gabriel Zuchtriegel, neuer Di- rektor des Archäologischen Parks von Pompeji, er- möglicht dem sechsköpfigen Team aus Hennef den Zutritt außerhalb der Öffnungszeiten; fotografiert wird mit Leica, Canon und Drohnen von DJI, jeweils eine Woche im Frühjahr und eine Woche im Herbst. Pompejis rasterartige Stadtstruktur ist die erste Besonderheit, die Hans Georg Esch sofort fasziniert. Genauso beeindruckt ihn das Neben- einander von Pompeji und Neapel: „Da gibt es gar keine Grenze!“ Erstaunlich sind die vielen üppigen Gärten und begrünten Patios. Jedes Wohnhaus gruppiert sich um einen Innenhof mit einem oder mehreren Bäumen im Zentrum. Die Gärten dienen als Orte der Ruhe. Außerdem wirken sie sich in dem dichten Gefüge positiv auf das mediterrane Stadtklima aus und bieten in den heißen Sommer- monaten natürliche Kühlung. In den Neben- straßen, wo die Gehwege nicht städtisch, sondern von den BewohnerInnen selbst errichtet worden sind, finden sich verkehrsberuhigte Zonen, die mit Sitzsteinen als Treffpunkt und zum Verweilen angelegt wurden: antike Parklets!
So supergrün, wie Pompeji einst war (und heute wieder ist), so zeigt sich die römische Ideal- stadt auch extrem bunt. Alles hat die Asche perfekt konserviert. Überraschend sind die opulenten Ornamente, die imposanten Wandfriese und kunstvollen Gemälde, die belegen, wie farbenreich Pompejis Bauwerke innen wie außen gestaltet, aber auch wie bunt dessen Bewohnerschaft gekleidet war. Zinnober, Purpur, Ocker, Ultramarin und Malachit verraten: Die Antike war nicht weiß. Die Wandtafeln erzählen uns heute von den Nutzungen der pompejischen Häuser als noble Therme mit Wohnungen für die Mittelschicht, als Schnellimbiss oder auch als Bordell.
Perspektiven für die Zukunft
„Die Baumeister von Pompeji haben vor 2500 Jah- ren schon Standards gesetzt, nach denen wir heute suchen“, meint Esch. Sein „architektonischer Blick“ hat keinen Anspruch auf eine vollständige Dokumentation. Die Fotos werden weder im Plan verortet, noch wird unmittelbar verraten, was genau hinter den jeweiligen Mauern einst stattgefunden hat. Denn dem Fotografen geht es um eine persönliche Auseinandersetzung mit Architektur und Stadt, die beim Betrachten seiner Bilder aus Pompeji entsteht. Was erzählt die Antike über uns und unsere Zukunft?
Die Pompeji-Serie feierte gerade als Ausstellung im Berliner Aedes Architekturforum er- folgreich ihre Premiere, außerdem sind die Bilder von HGEsch in der Dauerausstellung in Pompeji zu sehen und als Publikation erschienen. Für Hans Georg Esch und sein Team geht es weiter: von den alten Römern zu den griechischen Göttern. Als Nächstes werden sie die Akropolis fotografieren.
Der Bildband „Pompeji" von Hans Georg Esch
Pompeji - Der Architektonische Blick
Editor: HGEsch and Raimund Stecker
Text: Raimund Stecker
Design: Anna Wesek
Publisher: Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König
ISBN: 978-3-7533-0740-4 38,00€