Architektur
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Pompeji von oben: Ein Bildband präsentiert die antiken Ruinen aus einer ganz besonderen Perspektive

HGEsch zeigt Pompeji erstmals aus der Perspektive der Architekturfotografie. Die dichte Bebauungsstruktur, Garküchen, Tempel und das typisch römische Straßenraster erzählen davon, wie urban, wie grün, wie bunt und wie lebenswert der Alltag in der Antike war. Ein Vorbild für die Stadt der Zukunft?
Text Jeanette Kunsmann
Datum17.01.2025

In den vielen Snackbars und den kleinen Gar- küchen in den Gassen werden Gerichte aus Erbsen, Bohnen und Linsen angeboten, aus den Bäckereien duftet es nach frisch gebackenem Brot, auf dem Forum Romanum überlagern sich öf- fentliches, politisches und wirtschaftliches Leben wie heute auf Social Media, als sich am Mittag eine ungewöhnliche Wolke am Himmel zeigt. Vermutlich scheint die Sonne über dem Golf von Neapel am 24. Oktober des Jahres 79 n. Chr. An diesem einen Tag, der alles verändern wird. Es regnet erst Bimsstein, dann Asche – der Rest ist Geschichte. 
Hans Georg Esch hat schon viele Metropolen und Skylines dieser Welt besichtigt, um sie aus einer einzigartigen architektonischen Perspek- tive zu porträtieren: darunter New York, Dubai, Shanghai und die Wüstenstadt Shibam im Jemen. Seit 1987 schafft er möglichst lebendige Abbilder von Gebäuden, immer mit der Faszination für die Geschichte, Bauten in verschiedenen Kulturen und dafür, wie Menschen über Architektur ihre Identität entwickeln. Vor zwei Jahren verschlägt es den Architekturfotografen aus dem rheinromantischen Hennef (NRW) nach Pompeji – ein Ort, der einst Goethe, aber auch Architekturgrößen wie Le Corbusier begeisterte. Auch Esch ist bei seinem ersten Besuch beeindruckt. „Das musst du JETZT fotografieren“, denkt er sich. Die Idealstadt der Antike ist für ihn kein Blick in die Vergangenheit, sondern ein Ausblick in die Zukunft.

Um die 45 000 Einwohner zählte das antike Pompeji. Wie wohnten all diese Menschen im Pompeji der Vergangenheit? Der bisher ausgegrabene Teil umfasst vermutlich 1076 Wohneinheiten: von der Einzimmer-Laden-Wohnung bis zur Villa mit 50 Zimmern im Erdgeschoss. Eine Besonderheit neben der enormen Dichte und den zum Teil kleinen Raumzellen war die Mischung der verschiedenen Gesellschaftsschichten, die in direkter Nachbarschaft lebten. 
Die vielen Gärten und Atrien sorgten in dem dicht bebauten Pompeji für Abkühlung: eine kluge Verbindung von Natur und Architektur.
"Viele Grundsätze, die in Pompeji verwirklicht wurden, haben wir leider vergessen."
Hans Georg Esch

Grüne Ruinen der Gegenwart

„Pompeji hat Präsenz, Pompeji lebt“, das verdeutlicht HGEsch auch in seinen Bildern, die von 2022 bis 2024 entstehen. Gabriel Zuchtriegel, neuer Di- rektor des Archäologischen Parks von Pompeji, er- möglicht dem sechsköpfigen Team aus Hennef den Zutritt außerhalb der Öffnungszeiten; fotografiert wird mit Leica, Canon und Drohnen von DJI, jeweils eine Woche im Frühjahr und eine Woche im Herbst. Pompejis rasterartige Stadtstruktur ist die erste Besonderheit, die Hans Georg Esch sofort fasziniert. Genauso beeindruckt ihn das Neben- einander von Pompeji und Neapel: „Da gibt es gar keine Grenze!“ Erstaunlich sind die vielen üppigen Gärten und begrünten Patios. Jedes Wohnhaus gruppiert sich um einen Innenhof mit einem oder mehreren Bäumen im Zentrum. Die Gärten dienen als Orte der Ruhe. Außerdem wirken sie sich in dem dichten Gefüge positiv auf das mediterrane Stadtklima aus und bieten in den heißen Sommer- monaten natürliche Kühlung. In den Neben- straßen, wo die Gehwege nicht städtisch, sondern von den BewohnerInnen selbst errichtet worden sind, finden sich verkehrsberuhigte Zonen, die mit Sitzsteinen als Treffpunkt und zum Verweilen angelegt wurden: antike Parklets! 
So supergrün, wie Pompeji einst war (und heute wieder ist), so zeigt sich die römische Ideal- stadt auch extrem bunt. Alles hat die Asche perfekt konserviert. Überraschend sind die opulenten Ornamente, die imposanten Wandfriese und kunstvollen Gemälde, die belegen, wie farbenreich Pompejis Bauwerke innen wie außen gestaltet, aber auch wie bunt dessen Bewohnerschaft gekleidet war. Zinnober, Purpur, Ocker, Ultramarin und Malachit verraten: Die Antike war nicht weiß. Die Wandtafeln erzählen uns heute von den Nutzungen der pompejischen Häuser als noble Therme mit Wohnungen für die Mittelschicht, als Schnellimbiss oder auch als Bordell.

Als Hafenstadt bot Pompeji auch Etablissements für gewisse Stunden. Erotische Fresken und Betten aus Stein sind eindeutige Hinweise auf die Nutzung dieses Ausgrabungsfundes als Bordell: das Lupanar. Über den Türen der kleinen Kammern finden sich Darstellungen, die jeweils eine bestimmte Stellung abbilden. Hinweis von Gabriel Zuchtriegel: „Für die Griechen waren die Römer ‚Barbaren‘, denen es an Sinn für Kunst, Zivilisation und erotischer Finesse fehlte.“ Dennoch, das Bordell gehört heute zu den meistbesuchten Orten Pompejis
In den Ruinen und zwischen den alten Mauern ist die Vegetation allgegenwärtig. Seit den ersten Ausgrabungen vor rund 250 Jahren leuchten die Gärten und Atrien von Pompeji wieder in einem satten Grün und erzählen davon, wie sich die dichte Stadt schon vor 2000 Jahren vor der mediterranen Hitze zu schützen wusste. Wenn die Wiesen im Archäologischen Park von Pompeji gemäht werden müssen, übernehmen das Schafherden aus der Umgebung. Die Schafe sind eine ökologische Alternative nach traditionellem Vorbild und schonen den historischen Bestand

Perspektiven für die Zukunft

„Die Baumeister von Pompeji haben vor 2500 Jah- ren schon Standards gesetzt, nach denen wir heute suchen“, meint Esch. Sein „architektonischer Blick“ hat keinen Anspruch auf eine vollständige Dokumentation. Die Fotos werden weder im Plan verortet, noch wird unmittelbar verraten, was genau hinter den jeweiligen Mauern einst stattgefunden hat. Denn dem Fotografen geht es um eine persönliche Auseinandersetzung mit Architektur und Stadt, die beim Betrachten seiner Bilder aus Pompeji entsteht. Was erzählt die Antike über uns und unsere Zukunft? 

Die Pompeji-Serie feierte gerade als Ausstellung im Berliner Aedes Architekturforum er- folgreich ihre Premiere, außerdem sind die Bilder von HGEsch in der Dauerausstellung in Pompeji zu sehen und als Publikation erschienen. Für Hans Georg Esch und sein Team geht es weiter: von den alten Römern zu den griechischen Göttern. Als Nächstes werden sie die Akropolis fotografieren.
 

Südlich des Forums liegt die Region VIII, in der sich hauptsächlich Pompejis öffentliche Gebäude und Verwaltungsgebäude sowie wenige Privathäuser befinden. Den Südwesten flankiert das Theater- viertel. Neben den dorischen Tempeln von Herkules/Minerva und Athena (rechts zwischen den Bäumen) stehen das große (M.) und das kleine Theater (l.). Das große Theater wird seit den 1980er- Jahren wieder als Spielstätte genutzt. Im kleineren Theater, dem Odeon, fanden seinerzeit auch Gesangsaufführungen statt – für eine bessere Akustik war das Bauwerk ursprünglich überdacht. Wie bei den Wohn- und Tempelbauten ist auch hier die Überdachung nicht mehr vorhanden,  was Pompeji aus der Vogelperspektive seine Einzigartigkeit verleiht
Die bis zu sieben Meter breiten Hauptstraßen von Pompeji wurden mit monumentalen Basalt- steinen gepflastert. Diese hohen Trittsteine dienten den Menschen dazu, trockenen und saube- ren Fußes die Straße zu überqueren, denn Pompeji hatte zwar ein Brunnensystem, allerdings keine Kanalisation. In den Nebenstraßen war die Bewohnerschaft selbst für die Errichtung und Pflege der Straßen und Gehwege verantwortlich. Sitzsteine luden hier zum Verweilen ein. Der öffentliche Raum war, wie auch die römischen Plätze, ein Wohnzimmer für die ganze Stadt

Der Bildband „Pompeji" von Hans Georg Esch

Pompeji - Der Architektonische Blick
Editor: HGEsch and Raimund Stecker
Text: Raimund Stecker
Design: Anna Wesek
Publisher: Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König
ISBN: 978-3-7533-0740-4 38,00€

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