Architektur
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New Nordic Architecture trifft Superdutch 2.0

Das Sluishuis in IJburg, Amsterdam von Barcode Architects und Bjarke Ingels Group bietet Wohnen mit Licht, Luft und Wasser – in neuer Form und mit einem Hafen im Hof
Text Jeanette Kunsmann
Datum14.10.2022
©Ossip van Duivenbode
Das Schleusenhaus macht eine dynamische Figur, im Innenhof ist ein Hafen. Sluishuis von Barcode Architects und Bjarke Ingels Group, Amsterdam IJburg, 2016–2022.

Dass auf Amsterdams künstlicher Inselgruppe IJburg im IJmeer im Juli ein neuer Wohnblock mit 442 Apartments fertiggestellt wurde, ist an sich keine Nachricht von internationalen Rang – schließlich wächst der neue Stadtteil seit Jahrzehnten. 1999 wurde mit dem Bau der ersten künstlich angelegten Insel begonnen, seit 2013 kommen weitere Inseln dazu. Die Typologien für das Wohnen am Wasser hier sind vielfältig und wer sich für diese Stadtentwicklung interessiert, kann vor Ort sogar Architekturführungen buchen. 

Schleuse für Ijburg

Bemerkenswert sind in diesem Fall gleich drei Punkte, die über die lokale Presse hinausgehen: das unkonventionelle architektonische Konzept einer ikonischen Stadtskulptur jenseits einer austauschbaren, generischen Neubau-Tristesse urbaner Quartiere, nachhaltige Aspekte wie die Energieeffizienz des Neubaus als Nullenergiehaus und die ungewöhnliche Autorenschaft hinter dem Projekt. Entworfen und geplant haben das Sluishuis (deutsch: Schleusenhaus) das Rotterdamer Büro Barcode Architects mit dem Team von Dirk Peters und Caro van de Venne zusammen mit BIG (Kopenhagen/ New York) unter Leitung der drei Projektpartner Bjarke Ingels, Finn Nørkjær und Andreas Klok Pedersen. New Nordic Architecture trifft auf den Superdutch 2.0.

Landmarke für IJburg: Mit seiner Topografie will der Neubau Besucher dazu einladen, aufs Dach zu steigen. Sluishuis von Barcode Architects und Bjarke Ingels Group, Amsterdam IJburg, 2016–2022.

Barcode Architects x Bjarke Ingels Group

Diese bilaterale Kombination ist überaus spannend. Und passend, wenn man sich erinnert, dass Bjarke Ingels seine ersten Architektenjahre nach dem Studium Ende der Neunziger im Büro OMA von Rem Koolhaas hatte. Nach seiner Zeit als Projektarchitekt bei Herzog & de Meuron arbeitete auch Dirk Peters bei OMA in Rotterdam, wo er unter anderem das Dänische Architektur Zentrum BLOX in Kopenhagen betreute. Caro van de Venne, seit 2010 Partnerin bei Barcode Architects, war vor ihren Jahren als Associate bei Foster + Partners in London wiederum in Basel bei Herzog & de Meuron – wie Dirk Peters. Die Wege der kreativen Köpfe beider Büros sind eng miteinander verwoben. Sie alle verbindet die Zeit in den großen international tätigen Architekturbüros vor der Finanzkrise 2008. Eine Erfahrung, mit der sie alle eine nächste Generation von Architekturbüros aufgebaut haben. Es ist die Generation der Studios, die das Moment der Stararchitektur für sich neu definiert hat und Projekte mit eigenen Inhalten füllt. Wie hier in Amsterdam.

Hafen im Haus

Und so wundert es nicht, dass Bjarke Ingels von einer Heimkehr spricht und sich darüber freut, „einen Beitrag zur Architektur der Stadt zu leisten, die ich so lange geliebt und bewundert habe. Unser Sluishuis ist als ein im IJ-See schwimmender Stadtblock der Amsterdamer Innenstadt mit allen Aspekten des städtischen Lebens konzipiert. Zur Stadt hin kniet sich das Gebäude nieder und lädt die Besucher ein, aufs Dach zu steigen und den Panoramablick auf die neuen Stadtteile am IJ zu genießen. Zum Wasser hin erhebt sich das Gebäude aus dem Fluss und öffnet ein riesiges Tor, durch das die Schiffe in den Hafen einfahren und anlegen können.“ Das Sluishuis ist eben ein besonders Haus, „ein Gebäude im Hafen, mit einem Hafen im Gebäude“, wie Bjarke Ingels resümiert.

Doppeltes Spiel

Die zwei Ausrichtungen auf Land und Meer beantworten Barcode Architects und BIG mit einem Zweiklang in der Fassadengestaltung: Während sich die Landseite mit Holzelementen und Stegen an ihre Umgebung andockt, wird die rückseitige Wasserseite mit den spiegelnden Aluminium-Paneelen noch dramatischer: Die Wasserspiegelungen werden von der Fassade aufgenommen und reflektiert.

Sluishuis von Barcode Architects und Bjarke Ingels Group, Amsterdam IJburg, 2016–2022.

Neue Perspektiven

Der niederländische Architekt Dirk Peters beschreibt das Sluishuis als „zeitgemäße Übersetzung der Typologie des Amsterdamer Baublocks“, die speziell auf seine besondere Lage am Wasser reagiere. „Aus jedem Blickwinkel erlebt man das Sluishuis-Volumen anders“, sagt Peters. „Ob man nun auf dem Deich, der Autobahn oder der Brücke steht, über die Stege oder den öffentlichen Weg über das Dach läuft oder das Gebäude sogar aus der Luft betrachtet: Das Sluishuis versteht es, Sie von allen Seiten zu überraschen.“

Abgetreppte Terrassen, spitze Winkel, dramatische Geometrien und Dynamik in der Gebäudekubatur hatte BIG schon mit seinen frühen großen Wohnungsbauten wie dem Mountain Dwellings und dem 8 House in Kopenhagen Ørestad inszeniert. Die terrassierten Kaskaden der horizontalen Gebäudeschichten ermöglichen eine natürliche Belichtung der Wohneinheiten sowie begrünte Dachgärten. So können alle 442 Apartments (Eigentum und Miete) einen guten Ausblick auf die Nachbarschaft und das IJmeer haben.

Mehr über Bjarke Ingels, AW Architekt des Jahres 2013, lesen Sie hier