Architektur
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Biennale Venedig 2023: 11 Highlights von der Architekturbiennale

Vom 20. Mai bis zum 26. November 2023 verwandelt sich Venedig mit der Architekturbiennale in ein großes Zukunftslabor. Die Ausstellungen der 18. Architekturbiennale verteilen sich nicht nur auf die beiden Hauptschauplätze Arsenale und Giardini, sondern über die gesamte Stadt. Wir präsentieren elf vielversprechende Highlights der Biennale in Venedig 2023. 
Text Jeanette Kunsmann
Datum11.05.2023

Dass sich die Biennale 2023 wie ein Neustart anfühlt, liegt am Weltgeschehen seit 2020. Krisen zwingen uns zu Entscheidungen, Haltung reicht nicht mehr aus. Also initiiert die 18. Architekturbiennale in Venedig ein Zukunftslabor – mit Fokus auf die afrikanischen Länder. Die Highlights der diesjährigen Architekturbiennale im Überblick. 

1

"Laboratory of the Future" im Arsenale und Zentralpavillon der Biennale

Lesley Lokko ist Gründerin des African Futures Institute und Biennale-Direktorin der 18. Internationalen Architekturbiennale 2023 in Venedig.

"Laboratory of the Future" betitelt Biennale-Direktorin Lesley Lokko (Gründerin des African Futures Institute) ihre Hauptausstellung in Venedig und will diesen ambitionierten Plan in sechs Bestandteilen umsetzen. "Eine Architekturausstellung ist sowohl ein Moment als auch ein Prozess", meint die ghanaisch-schottische Architektin. Ihre Motivation: "Es ist unmöglich, eine bessere Welt aufzubauen, wenn man sie sich nicht vorher vorstellen kann." Die zwei Hauptschauplätze sind das Arsenale und die Giardini mit dem Zentralpavillon.

Die Liste der 55 beteiligten Studios der Hauptausstellung war vermutlich noch nie so divers wie 2023: darunter die südafrikanische Architektinnen Kate Otten und Sumayya Vally, der britische Architekt Sir David Adjaye und AW Architekt des Jahres 2021 Francis Kéré aus Berlin und Ouagadougou, der US-amerikanische Konzeptkünstler Theaster Gates, die Schweizer Videokünstlerin Ursula Biemann, das Duo Lyndon Neri und Rossana Hu aus Shanghai, Flores & Prats aus Barcelona, der chinesische Architekt Zhang Ke sowie spannende Köpfe wie Andrés Jaque, Liam Young u.v.m.

2

"Ball Theater" im Französischen Pavillon

Ein Modell vom "Ball Theater" für die Architekturbiennale 2023 von Muoto und Stanishev et La Sagna.

Die Ausstellung im französischen Pavillon auf der Architekturbiennale 2023 blickt voller Optimismus in die Zukunft und zelebriert die Gegenwart. "Ball Theater" betiteln das kuratorische Team Muoto & Georgi Stanishev seine reflektorische Ausstellung.

Das Architekturbüro Studio Muoto aus Paris arbeitet für "Ball Theater" mit den Szenografen Georgi Stanishev und Clémence La Sagna, Kurator Jos Auzende und der Programmgestalterin Anna Tardivel zusammen.

3

"Dancing before the moon celebrates" im Britischen Pavillon

Das Team hinter dem britischen Pavillon auf der Architekturbiennale 2023 in Venedigt: Meneesha-Kellay, Joseph-Henry, Jayden Ali, Sumitra Upham, Sevra-Davies.

Der Mond ist in vielen Ländern und Kulturen ein Symbol für das Leben. "Dancing before the moon celebrates" spiegelt für das kuratorische Team des Britischen Pavillons Jayden Ali, Joseph Henry, Meneesha Kellay und Sumitra Upham "die Sehnsucht und Wertschätzung nach globalen Ritualen und Alltagspraktiken wider, die eine Wertschätzung für den Boden und den Kosmos zeigen".

Die Ausstellung "Dancing before the moon celebrates" setzt sich mit der These auseinander, dass alltägliche für Gemeinschaften in der Diaspora ein Mittel, um neue Räume und neue Denkweisen hinsichtlich Architektur und gebauten Umwelt zu schaffen. Die Besuchenden begrüßt eine Außeninstallation von Jayden Ali, in der Haupthalle des Pavillons wird eine große Filminstallation präsentiert. Es geht um "eine Zukunft, in der soziale Praktiken für die Bindung von Gemeinschaften und die Umgestaltung von Räumen gefeiert werden."

Jayden Ali, Joseph Henry, Meneesha Kellay und Sumitra Upham setzen sich mit "Dancing before the moon celebrates" für einen erweiterten Architekturbegriff ein, der sich mit Performance, Handwerk und anderen kreativen Disziplinen gegenseitig stärkt und von Menschen geprägt wird. Vielleicht gibt es auch eine Aufforderung zum Tanz?

4

"Open for Maintenance – Wegen Umbau geöffnet" im Deutschen Pavillon

"Wegen Umbau geöffnet" ist der Claim des kuratorischen Zusammenschlusses der Berliner Architekturzeitschrift ARCH+ mit den Architekturstudios SUMMACUMFEMMER (Leipzig) und BÜRO JULIANE GREB (Gent).

Der deutsche Beitrag widmet sich auf der Architekturbiennale 2023 den Themen der Pflege, Reparatur und Instandhaltung, es geht um Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung: Anders als Muck Petzet 2012 mit "Reduce/Reuse/Recycle. Ressource Architektur." wird die Ausstellung im Deutschen Pavillon zur Architekturbiennale zum ersten Mal keine Projektretrospektive, sondern beschäftigt sich mit dem, was vor Ort in Venedig vorzufinden ist.

"Im Mittelpunkt steht die Instand(be)setzung des Deutschen Pavillons in den Giardini, um Prozesse der räumlichen und sozialen Sorgearbeit sichtbar zu machen, die normalerweise dem Blick der Öffentlichkeit entzogen sind", sagt das Team, für das ökologische Nachhaltigkeit untrennbar mit der sozialen Frage verbunden ist.

ARCH+, SUMMACUMFEMMER und BÜRO JULIANE GREB wollen mit ihrer Ausstellung eine Plattform für Austausch aufbauen, es soll keine Ego-Show werden. "Wegen Umbau geöffnet" setzt dabei auf Wissensvermittlung und Handwerk. Nach Venedig werden Werkzeuge anstatt Exponate gebracht. Gebaut wird mit dem, was da ist und die Materialien der Biennale Arte 2022 wiederverwendet. Die Eingriffe in den Bestand des Deutschen Pavillons der Künstlerin Maria Eichhorn 2022 werden in die Gesamtgestaltung miteinbezogen. Das Abbruchmaterial der Ausstellungsarchitekturen der letzten Kunstbiennale wird als Spolien verstanden und inszeniert. Very nachhaltig!

5

"Partecipazione/Beteiligung" im Österreichischen Pavillon

"Partecipazione/Beteiligung" fordern das Architekturkollektiv AKT und der Wiener Architekt Hermann Czech, die den Österreichischen Pavillon auf der diesjährigen Architekturbiennale in Venedig verantworten. Ihr Ansatz: Eine Hälfte des symmetrischen Baukörpers vom Österreichischen Pavillon soll während der Architekturbiennale dem benachbarten Sant’Elena zugänglich gemacht werden: ohne Eintrittskarte!

Dieses Vorhaben, das die Raumpolitik der Biennale in Venedig hinterfragt, ist Anfang Mai gescheitert. Die Öffnung wurde vom venezianischen Denkmalamt und der Organisation La Biennale verhindert. Eine Nutzung des schmalen Geländestreifens zwischen der österreichischen Hofmauer und der Grenzmauer der Giardini sei rechtlich nicht möglich, lautet die Begründung. Bleibt spannend, welche Antwort das österreichische Team darauf haben wird…

6

"Neighbours" im Schweizer Pavillon

Philip Ursprung und Karin Sander realisieren den Schweizer Pavillon bei der Architekturbiennale 2023 in Venedig.

Auf die unmittelbare Nachbarschaft fokussieren sich auch Karin Sander und Philip Ursprung, die den Schweizer Pavillon bespielen – allerdings innerhalb der Giardini. "Der Schweizer und der venezolanische Pavillon bilden ein Ensemble von außergewöhnlicher architektonischer und skulpturaler Qualität", sagen die Künstlerin und der Kunsthistoriker.

Karin Sander und Philip Ursprung leisten Beziehungsarbeit. Sie stellen die räumliche und bauliche Nähe der beiden Ausstellungshäuser ebenso in Mittelpunkt ihrer Ausstellung wie die berufliche Verbundenheit der beiden Architekt:innen, dem Schweizer Bruno Giacometti (1907–2012) und dem Italiener Carlo Scarpa (1906–1978). Besonders hervorgehoben werden die miteinander verbundenen Grundrisse, in denen sich die bauliche Nachbarschaft der befreundeten Architekten verdichtet.

"Wir denken die Funktionen der beiden Pavillons und ihres Umraums neu, lösen ihre Grenzen mit künstlerischen Mitteln auf. So hinterfragen wir sowohl die räumliche, kulturelle und politische Abgrenzung als auch Konventionen nationaler Repräsentation", erläutern Sander und Ursprung, die beide an der ETH Zürich unterrichten. "In einer utopischen Geste stellen wir dem Ort eine poetische Wirklichkeit gegenüber, die für einen Moment einer neuen Sichtweise Raum gibt."

7

"Coastal Imaginaries" im Dänischen Pavillon

Von links beginnend im Uhrzeigersinn: Christian Friedländer, Peter Albtrechtsen, David Garcia, Anna Aslaug Lund, Alexandra Wedderkopp Emelianov Ellen Leer und Josephine Michau sind die Kurator:innen für den dänischen Pavillon bei der Architekturbiennale 2023.

Der Meeresspiegel steigt. In den beiden historischen Gebäuden des Dänischen Pavillons – den 1932 errichteten Bau von Carl Brummer und den 1958 angefügten Anbau von Peter Koch werden die Biennale-Besucherinnen und -besucher nachhaltige Lösungen entdecken, wie sich die Menschheit an den steigenden Meeresspiegel und die immer häufiger auftretenden Sturmfluten anpassen kann.

Den dänischen Pavillon gestaltet 2023 die Kuratorin Josephine Michau, Mitbegründerin des Copenhagen Architecture Festivals. Das Ausstellungsteam setzt sich dabei aus einem interdisziplinären Team zusammen: dem Landschaftsarchitekturbüro Schønherr mit der Landschaftsarchitektin Anna Aslaug Lund, dem Set Designer Christian Friedländer sowie führenden Köpfen aus Wissenschaft und Kunst.

"Wir befinden uns mitten im Anthropozän - dem Zeitalter der Menschheit -, in dem Geologen die Menschheit zu einer geologischen Kraft erklärt haben, die mit Vulkanen, Meteoriteneinschlägen und tektonischen Verschiebungen auf einer Stufe steht.", sagt Josephine Michau. "Wir haben nicht nur die Möglichkeit, sondern auch die Pflicht, Maßnahmen zu ergreifen und diesen Trend umzukehren. Die Architekturbüros, die unsere physische Umgebung gestalten, spielen dabei eine entscheidende Rolle." 

Ausgestellt werden Dioramen, die Entwürfe aus verschiedenen Teilen der Welt zeigen. Es sind Entwürfe und Lösungen, die Hoffnung geben.

8

Portugal zeigt "Fertile Futures" im Palazzo Franchetti

Der Wandatlas zur Lagune von Sete Cidades ist das größte natürliche Süßwasserreservoir des Azorenarchipels und eines der sieben Naturwunder Portugals. Die portugiesischen Kurator:innen beschäftigen sich mit einer utopische (Neu-)Vorstellung von der Zukunft dieser Region und bekämpft den Hauptschwerpunkt der Verschmutzung der azorischen Lagunen, indem sie die Landnutzung in direkter Verbindung mit den sozialen, kulturellen und natürlichen Dimensionen, die die Landschaft der Azoren definieren, kritisch überdenken.

Konkreter wird es bei dem nächsten Ausstellungsprojekt für den portugiesischen Beitrag auf der Architekturbiennale. "Fertile Futures" lautet der Ausstellungstitel von Andreia Garcia (Gründerin von Architectural Affairs), Ana Neiva und Diogo Aguiar. Im Zentrum steht die Ressource Wasser.

"Fertile Futures" konzentriert sich auf sieben Hydrogeographien und hat dafür junge Architekturstudios in Zusammenarbeit mit Spezialisten aus anderen Wissensgebieten beauftragt, nachhaltige Lösungsansätze morgen zu suchen. Es ist ein architektonischer Beitrag zur Neugestaltung einer dekarbonisierten, dekolonisierten und kollaborativen Zukunft.

Die Ergebnisse von "Fertile Futures" werden nicht in den Giardini, sondern mitten in Venedig nahe der Ponte dell'Accademia im Palazzo Franchetti ausgestellt.

9

"In Vivo" im Belgischen Pavillon

"Wie können wir die Architektur in einer Welt der endlichen Ressourcen neu denken?" – Mit dieser Fragestellung beschäftigt sich der Belgische Pavillon auf der Architekurbiennale 2023 in Venedig.

Der belgische Pavillon nimmt Bezug auf Lesley Lokkos "Laboratory of the Future" und wird eine Art Werkstatt einrichten, das als Denklabor für verschiedene kreative Disziplinen im Austausch mit den Besuchenenden dienen soll. Kuratiert wird die Ausstellung mit dem Titel "In Vivo" von dem jungen belgischen Architekturstudio Bento zusammen mit der Philosophin und Psychologin Vinciane Despret.

Ihre Installation führt Experimente mit organischen, lebenden Materialien wie unkultiviertem Boden und dem vegetativen Teil von Pilzen durch. Der belgische Pavillon wird in einen Ort verwandelt, an dem alternative Ressourcen aus dem Baubereich erforscht und teilweise im Prozess erlebt werden können. Das klingt nach einer sensiblen Erkundung, die alle Sinne herausfordert.

10

"Home Stage" aus Estland in einem Apartment in Venedig

Model zum estnischen Beitrag zur Architekturbienale 2023 mit dem Titel "Home Stage".

Bitte eintreten! Die Ausstellung des estnischen Beitrags führt an einen für die Architekturbiennale eher ungewöhnlichen Ort. "Home Stage" wird nämlich nicht an einem der typischen Biennale-Orte, sondern in einem echten Ferienapartment in der Salizada Streta 96 (Google Maps) ausgestellt.

Kuratiert wird der Beitrag von Aet Ader, Arvi Anderson und Mari Möldre aus dem Studio b210 Architects. Das Ganze ist ein besonderes Experiment, denn: Eine Reihe estnischer Performer wird jeweils einen Monat lang einzeln in dem venezianischen Apartment wohnen, das zur Bühne wird. Die Biennale-Besucherinnen und -Besucher können hier den gewohnt gewöhnlichen Alltag miterleben. Die Ausstellung „Home Stage“ erforscht den Antagonismus zwischen der Wohnung als Zuhause und als Tauschobjekt.

11

"Everybody Talks About the Weather" in der Fondazione Prada

Die Fondazione Prada in Venedig ist während der Biennale 2023 in Venedig Ausstellungsort für "Everybody Talks About the Weather". Die Ausstellung erforscht die Bedeutung des Wetters in der bildenden Kunst und nimmt die aktuellen Wetterbedingungen zum Anlass nimmt, sich mit der Klimakrise auseinanderzusetzen.

Wer in Venedig ist, sollte niemals die fantastisch-kuratierten und anspruchsvollen Ausstellungen der Fondazione Prada verpassen, die parallel zur Kunst- oder Architekturbiennale laufen. Ausstellungsort sind die prachtvollen Räume im Palazzo Ca’ Corner della Regina am Canal Grande.

Hier zeigt 2023 der belgische Kurator Dieter Roelstraete unter dem Titel "Everybody Talks About the Weather" auf zwei Etagen eine Kunstausstellung, die Positionen aus Kunst und Wissenschaft intelligent miteinander verwebt.

Mehr als fünfzig Werke zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstlern ergänzt von einer Auswahl historischer Werke verdeutlichen, wie Klima und Wetter unsere kulturelle Identität geprägt haben und wie die Menschheit mit dem täglichen Umgang mit Wetterereignissen umgegangen ist.

"Everybody Talks About the Weather" ist eine besondere Auseinandersetzung mit den Folgen der Klimakrise. Ausgestellt werden unter anderem Werke von Vivian Suter, Gerhard Richter, Nina Canell, Thomas Ruff und Hans Haake. Und auch Theaster Gates, Antony Gormley und Pae White sprechen mit ihrer Kunst über das Wetter.

– Apropos: Wie wird eigentlich das Wetter in Venedig?

Allgemeine Informationen zur Biennale Architettura 2023

  • Wann: 20 Mai bis 26. November 2023 
  • Wo: Giardini/Arsenale/Forte Marghera in Venedig

Eine Liste aller teilnehmenden Positionen der Hauptausstellung sowie  Öffnungszeiten, Tickets und wichtige Informationen sind auf der Website labiennale.org zu finden.

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